Kein Kinderspiel
Klasse und High-School wurde für Cheese Olamon zum Sommer der Rache. Wenn Kinder um die Ecke bogen, bekamen sie ohne Vorwarnung einen Schlag in die Magengrube und sahen dann vom Bürgersteig auf, wie Cheese’ Schuhe Größe 12 auf ihre Rippen niedertraten. Es hagelte gebrochene Nasenbeine und Arme, und Carl Cox - einer von Cheese’ ältesten und gnadenlosesten Peinigern - traf ein Stein am Kopf, der vom Dach eines zweistöckigen Hauses herunterfiel. Er riß ihm das halbe Ohr ab, und den Rest des Lebens redete Carl irgendwie komisch.
Nicht nur die Jungen aus unserer Abschlußklasse in St. Bart’s bekamen es ab; mehrere vierzehnjährige Mädchen hatten den Sommer über eingegipste Nasen oder mußten zum Zahnarzt, um sich eingeschlagene Zähne richten zu lassen.
Aber schon damals wußte Cheese, wen er als Opfer wählte. Wer seiner Meinung nach zu ängstlich oder machtlos war, um etwas gegen ihn zu unternehmen, dem zeigte er sein Gesicht, wenn er ihm weh tat. Wem er aber Schlimmeres zufügte und wer daher möglicherweise hinterher mit der Polizei oder den Eltern sprach, der bekam überhaupt nichts zu sehen.
Phil, Angie und ich entkamen Cheese’ Rache, da wir ihn nie geärgert hatten, wenn auch nur, weil wir selbst mindestens ein unerwünschtes immigriertes Elternteil hatten. Und Cheese ließ auch Bubba Rogowski in Ruhe. Ich weiß nicht, ob sich Cheese jemals mit Bubba angelegt hatte. Doch in jedem Fall war Cheese klug genug zu wissen, daß er bei einem Kampf mit Bubba die deutsche Armee darstellte und Bubba den russischen Winter. So kämpfte Cheese an der Front gegen diejenigen, denen er überlegen war.
Wieviel stärker, verschlagener und gefährlicher der irre Cheese mit den Jahren auch wurde, in Bubbas Gegenwart blieb er immer ein fast unterwürfiger Mensch. Das ging so weit, daß er sogar persönlich Bubbas Hunde fütterte und pflegte, wenn Bubba wegen Waffengeschäften in Übersee weilte.
Soviel zu Bubba: Menschen, die uns Angst machen, füttern seine Hunde.
»Mutter in Anstalt eingewiesen, als betreffende Person siebzehn war«, las Broussard aus Cheese Olamons Akte vor. Poole fuhr uns am Waiden Pond Naturpark vorbei zum Gefängnis von Concord. »Vater wurde ein Jahr später aus Norfolk entlassen, verschwand darauf spurlos.«
»Angeblich soll Cheese ihn umgebracht haben«, bemerkte ich. Ich saß hinten und hatte den Kopf an die Fensterscheibe gepreßt, hinter der die herrlichen Bäume von Concord vorbeiflogen.
Nachdem Broussard und Poole den zweifachen Mord in Charlestown gemeldet hatten, nahmen Angie und ich die Tüte mit dem Geld und brachten Helene zurück zu Lionel. Danach fuhren wir zu Bubbas Lagerhaus.
Zwei Uhr nachmittags ist Bubbas bevorzugte Schlafenszeit. An der Tür begrüßte er uns in einem feuerroten japanischen Kimono und mit leicht verärgertem Ausdruck auf seinem Engelsgesicht.
»Warum bin ich aufgewacht?« fragte er. »Wir brauchen deinen Safe«, antwortete Angie. »Ihr habt selbst einen Safe.« Wütend sah er mich an. Ich wich seinem Blick nicht aus. »Wir haben aber kein Minenfeld drum herum.«
Er streckte die Hand aus, und Angie reichte ihm die Tüte.
»Was ist drin?« fragte er. »Zweihundert Riesen.«
Bubba nickte, als hätten wir gerade von den Erbstücken meiner Großmutter gesprochen. Wir hätten ihm sagen können, die Tüte enthalte Beweise für die Existenz von außerirdischem Leben - er hätte genauso reagiert. Solange man für Bubba kein Date mit Jane Seymour arrangierte, war er ziemlich schwer zu beeindrucken.
Angie holte die Bilder von Corwin Earle und Leon und Roberta Trett aus der Tasche und hielt sie ihm vor das schläfrige Gesicht. »Kennst du einen von denen?« »Heilige Scheiße!« rief er aus. »Du kennst sie?« fragte Angie.
»Hä?« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Aber das ist ein Riesenweib! Läuft die aufrecht und alles?«
Angie seufzte und schob die Bilder in ihre Tasche zurück.
»Die beiden Männer waren Knackis«, stellte Bubba fest. »Hab’ sie zwar noch nie gesehen, aber so was merkt man immer.«
Er gähnte, nickte und schlug uns die Tür vor der Nase zu.
»Als er im Knast war, hab ich seine Gegenwart nicht unbedingt vermißt«, bemerkte Angie.
»Eher schon den engagierten verbalen Austausch«, fügte ich hinzu.
Angie ließ mich bei meiner Wohnung raus, wo ich auf Poole und Broussard wartete, während sie zu Chris Mullens Eigentumswohnung fuhr, um die Überwachung aufzunehmen. Sie hatte sich freiwillig dafür gemeldet, weil sie noch nie
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