Kein König von Geburt
Brunnen und Laternenpfähle und die Bänke auf den Bürgersteigen waren sämtlich vergoldet worden. Und der neue Pavillon der Großen hatte Pfeiler aus grünem Schlangengestein, umflochten mit gelben Rosen, und eine Dachplane aus Goldstoff. Um den Platz zog sich ein Grüngürtel mit Rasen und blühenden Bäumen. Die daran anstoßenden Gebäude waren mit Bildfähnchen und Massen bunter Blumen behängt.
Die Heuler von Nionel, noch prächtiger gekleidet als ihre nicht mutierten Vettern, drängten sich auf Baikonen und Fenstern, standen zwölf Reihen tief unter den Arkaden und quollen in die Seitenstraßen über. Sie jubelten, als die friedliche Invasion sich zur Begleitung des Liebesfest-Madrigals auf den Platz ergoß:
Kommt auf diesen gold'nen Sand,
Ihr alle, die ihr eine Liebste (einen Liebsten) sucht.
Tanzt zehnmal um den blühenden Baum,
Wählt euren Schatz und bezahlt den Preis.
Aber hütet euch vor Liebesdieben!
Und hütet euch vor verkleideten Feinden!
Meidet Muttersöhnchen und prüde Mädchen und Schwiegereltern mit leeren Taschen!
O König und Königin des Mai, regiert huldvoll.
Freundliche Göttin, segne diese Zeit der Freude und des Werbens.
Laß die beiden hohen Feuer um Mitternacht aufflammen
Und gewähre denen, die hindurchschreiten, ewige Liebe.
Sugoll und seine Begleitung erreichten den Pavillon der Großen. Der Heuler-Lord stieg ab und nahm seinen Thron ein. Katlinel, die als Partnerin Sugolls die Mai-Königin spielte, wartete zusammen mit dem in allem Prunk erschienenen Firvulag-Adel, angeführt von dem Großen Hauptmann Galbor Rotmütze und seiner Frau Habetrot und dem legendären Kunsthandwerker-Ehepaar Finoderee und Mabino Traumspinnerin. König Sharn und Königin Ayfa und die meisten Mitglieder des Gnomenrats waren nach Goriah zu dem Tanu-Fest gereist. Aber sie wurden kaum vermißt, so groß war die Aufregung der Kleinen Leute darüber, daß das Liebesfest wieder in Nionel abgehalten wurde.
Zwei ganze Generationen waren seit der letzten Maifeier in dieser Stadt vergangen. Solange die Tanu triumphierten, hatten die Firvulag aus Kummer und verletztem Stolz ihr Großes Liebesfest zu einzelnen lokalen Veranstaltungen degenerieren lassen. Nionel war ein Ort, den man eher mied als liebte, während zu befürchten war, der Wettstreit werde nie mehr auf dem Goldfeld stattfinden. Aber jetzt war all das anders geworden. Die Neuankömmlinge nahmen ihre Plätze ein und unterhielten sich lebhaft über die großartige Arbeit, die die Mutanten bei der Renovierung geleistet hatten. (Um die Wahrheit zu sagen, die gute alte Stadt hatte niemals besser ausgesehen.) Und dann hatte Bredes Nachfolgerin das haarige Problem der Abscheulichen Bräute gelöst! Das wurde bestimmt ein Erster Mai, an den man sich erinnern würde.
»Als nächstes wird man Sugoll und Katy mit Blumen krönen«, sagte der Verrückte Greggy zu Häuptling Burke. »Und dann erlassen sie ihre erste offizielle Anordnung, und der Aufstand bricht los!« Er kicherte erwartungsvoll.
»Doch bestimmt kein wirklicher Aufstand.« Schwester Amerie Roccaro setzte ihre Kaffeetasse ab. Sie waren alle sicher in einem Seitenflügel des Pavillons untergebracht - die dreiunddreißig von ihrem Weg zu den Verborgenen Quellen in den Vogesen abgewichenen Abenteurer und der ihnen als Fremdenführer beigeordnete Greg-Donnet Genetik-Meister. Die beinahe tausend bloßhalsigen Flüchtlinge, die sie vom Lac de Bresse nach Nionel geleitet hatten, waren für das Fest unter die ansässige Bevölkerung verteilt worden. In geborgten Heuler-Staat gekleidet, waren diese Menschen von den mittelgroßen Mitgliedern der Firvulag-Rasse buchstäblich nicht zu unterscheiden.
Greggy fuhr fort: »Passen Sie jetzt gut auf, Schwester! Sugoll hat mir erläutert, was als nächstes geschieht. Sehen Sie? Da kommt die Kleine Grüne Armee!«
Die in Blätter gekleideten Kinder näherten sich dem Thron Sugolls und Katlinels. Der Mai-König hob sein Blumenzepter.
»O wackeres Grünvolk, verteidigt unser heiliges Fest gegen den Feind! Durchsucht jedes Versteck, jedes Mauseloch und jeden geheimen Winkel, damit keine fremden Eindringlinge unser Großes Liebesfest stören und die kostbaren Jungfrauen und Jünglinge stehlen.«
Ein durchdringendes Kreischen stieg von der Elfenschar auf. Sie stürzten sich in die Menge aus Erwachsenen, hoben schamlos Unterröcke und kramten in Bündein. Die Erwachsenen reagierten mit Schreien und Püffen und veranstalteten mit ihren Musikinstrumenten
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