Kein König von Geburt
ihrer angeblichen aphrodisiakischen Wirkung ausgewählt worden. Unterhalter wanderten zwischen den Gruppen umher, und als der Abend sich niedersenkte, wurden Spottlieder vorgetragen. Ein großartiges und sinnliches Ballett stellte die Überleitung zu der Liebensnacht dar.
(Mittlerweile waren die Firvulag in ihr eigenes Lager zurückgekehrt, wo Sharn und Ayfa und der Gnomenrat sich ums Feuer versammelten, sittsam und wütend, und sich sinnlos betranken. Culluket hielt diese ganze Nacht ein fernsehendes Auge auf den Feind, aber die Moosgrotten, die Mercy so sorgfältig vorbereitet hatte, blieben ungenutzt.)
Als der Maimond hoch am Himmel stand, entfernten sich Tanu und Menschen wiederum paarweise - doch diesmal auf schicklichere Art als in der letzten Nacht. Sie kamen zu ihren Lauben und Ruhebetten, unter Büschen versteckt, und fanden sie mit frischen Blütenblättern bedeckt. Die Neuvermählten breiteten ihre weißen Mäntel aus, die alten Ehepaare kamen auch so zurecht, und selbst die Einsamen und die Verzweifelten fanden diese Nacht in dem von Nachtigallen verzauberten Wald süßen Trost.
Nachdem alle anderen gegangen waren, traten Aiken und Mercy vor den Maibaum. Sie reichten sich um den hochaufragenden Mast die Hände und umkreisten ihn.
»Jetzt gehörst du mir«, sagte er zu ihr.
»Aber wem gehörst du? « gab sie zurück und brach in wildes Gelächter aus, als das triumphierende Grinsen auf seinem Gesicht verblich.
Seine einzige Antwort war, daß er ihre Hände fester packte und schneller tanzte. Der Maibaum war jetzt frei von Blumenbändern und reckte sich wie ein monströser Pylon zum sternenfunkelnden Zenith auf. Seine glatte Härte trennte sie, als sie den Boden verließen und aufwärts spiralten. Ihre Hochzeitskronen hatten sie verloren, aber die weißen Mäntel blähten sich. Sie wurden länger und weiter und bildeten dann eine rotierende Flüssigkeit wie eine ringförmige Wolke. Mercy warf den Kopf von einer Seite zur anderen. Schneller und schneller ging es. Nichts war deutlich zu sehen in der kreiselnden Dunkelheit als sein Kaspergesicht und ihr lachendes und immer der goldene Schaft zwischen ihnen.
Sie flogen über die Spitze hinaus, eingehüllt in die Mondscheinblase, zu der die Mäntel geworden waren. Mercy meinte, aus Angst vor ihm und aus Begehren sterben zu müssen, und seine Augen waren zwei schwarze Löcher, und er war kein kleiner Mann mehr, sondern riesengroß. Und da war ein großer goldener Maibaum, der goldenes Licht und Wärme ohne Maß brachte, mehr als die Sonne, sogar mehr als der Tod.
»Aber wem gehörst du?« hörte sie sich lange Zeit später wiederholen. Und dann: »Niemandem. Armer Leuchtender.«
Da war er jedoch schon fort, und es war Morgen und Zeit, sich für die Krönung fertigzumachen.
Höhepunkt des Großen Liebesfestes war der Tradition nach die fröhliche Absetzung des Mai-Königspaares. Danach erneuerten alle Tanu-Untertanen ihren Treueeid vor dem legitimen Souverän. In diesem Jahr sollte es allerdings anders verlaufen. Jeder wußte es; seit der erfolgreichen Beendigung von Aikens Prunkreise war im Vielfarbenen Land davon geredet worden. Es gab solche, die sich freuten, und solche, die verzweifelten, und sogar ein paar, die sich darauf verließen, die Göttin werde in letzter Minute eingreifen und Ordnung in dies betrübliche Chaos bringen.
Am Morgen des 2. Mai sandte Lady Morna-Ia ihren ferngesprochenen Ruf aus, und bis Mittag hatte sich das Tanu-Konklave in der Wiesenschüssel des Festplatzes versammelt. Mehr als 6000 waren da, vielleicht zwei Drittel von allen, die die Flut überlebt hatten. Auch die Firvulag-Gäste hatten sich eingefunden, in einem verdrossenen Häuflein zusammengeschart, alle in ihren Obsidian-Rüstungen und mit einem gewaltigen Kater. Am Rand der Versammlung von Fremden drängte sich eine große Menschenmenge, die bis in den Park um das Amphitheater überquoll - vielleicht 15000 Silberreifen, Graue und Bloßhalsige. Sie kamen nicht nur von Goriah und den umliegenden Pflanzungen und Bergbaudörfern, sondern auch von so weit her wie Rocilan und Sasaran, eigens von dem Usurpator eingeladen, Zeugen seiner Stunde der Glorie zu werden.
Von der Bühne waren die Maifest-Dekorationen entfernt worden. Die blumengeschmückten Throne hatte man durch zwei merkwürdige Sitze aus schmucklosem schwarzen Marmor ersetzt.
Eine Glasfanfare schmetterte einen einzigen Ton. Die Menge verstummte, die Augen auf die Bühne gerichtet, und plötzlich war
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