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Kein König von Geburt

Kein König von Geburt

Titel: Kein König von Geburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian May
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zerstörerischen Kräfte seit der Flut nicht mehr benutzt. Vielleicht kann sie sie nicht mehr benutzen. Die meiste Zeit stellt sie sich vor, sie sei ein schwarzer Raubvogel. Sie sammelt goldene Ringe und versteckt sie. Ich weiß nicht, wo. Sie schirmt sich sehr geschickt ab - außer wenn sie nach Cull ruft.«
    Die Frauen standen nebeneinander am Geländer, Elizabeth in ihrem langen schwarzen Gewand und die hochgewachsene Amerie in einem weißen Overall mit klerikalem Kragen. Ein leichter Wind hatte sich erhoben und fuhr durch die dunklen Nadelbäume, die bis dicht an die isolierte Höhe des Chalets heranrückten. Eine Felsdrossel warnte mit klagenden Rufen vor dem Wetterumschwung.
    »Könntest du Felice mit deinem tiefenredigierenden Wissen helfen?« fragte Amerie. »Die Psychose heilen?«
    »Vielleicht. Wenn sie voll mitarbeitet. Aber es könnte sicherer sein, sie zu lassen, wie sie ist, wenn das bedeutet, daß sie ihre psychoenergetischen Funktionen nicht voll einzusetzen vermag. Das ist ... einer der Punkte, über die ich gründlich nachdenken muß.«
    Die Nonne wich vor ihr zurück und betrachtete sie mit aufkeimendem Entsetzen. Elizabeth lächelte nur resigniert. Amerie sagte: »Du wirst viele Dinge zu entscheiden haben.«
    Elizabeth hob eine Schulter. Sie hatte sich so gedreht, daß die Priesterin ihr Gesicht nicht sehen konnte. »Es ist kalt und einsam auf dem Olymp.«
    Amerie meinte: »Wenn ich nur helfen könnte. Wenn nur irgend jemand von uns ...«
    Elizabeths Hände schlossen sich so fest um das hölzerne Geländer, daß die Sehnen weiß hervortraten. »Eins kannst du tun. Wieder. Meiner Skrupel wegen.«
    »Ja. Natürlich.«
    Aus einer Tasche ihres Overalls zog Amerie ein schmales violettes Band, küßte es und hängte es sich wie ein Joch um den Hals. Sie rezitierte die alte Formel. So hatte sie sie rezitiert, als ihre Gefährten in dem Zufluchtsort oben im Berg, von wo aus sie die Flut beobachtet hatten, vom Schlaf erwachten, so hatte sie sie in zahllosen Nächten auf dem langen Exodus rezitiert, während Elizabeth weinte wie der Winterregen, der auf ihr improvisiertes Dach trommelte.
    »Du mußt nur glauben, Elizabeth!«
    »Ich versuche es.« Ich versuche es.
    Amerie segnete den immer noch abgewandten Kopf. »Komm, Kind Gottes, und leg deine Bürde nieder! Denn Er hat zu Seiner Kirche gesagt: >Wem du die Sünden vergibst, dem sollen sie vergeben sein.<«
    »Segne mich, Schwester, denn ich habe gesündigt.«
    »Laß die Durstigen kommen. Laß alle, die es wünschen, das Wasser des Lebens empfangen.«
    »Ich bekenne Stolz. Ich bekenne Hybris, die Sünde der Uberhebung. Ich bekenne Lästerung des Heiligen Geistes. Ich bekenne Verachtung für geringere Intelligenzen. Ich bekenne die Weigerung, andere vernunftbegabte Wesen zu lieben. Ich bekenne Verzweiflung. Ich bekenne die nicht zu vergebende Sünde und bitte um Vergebung. Es tut mir leid. Hilf mir zu glauben! Hilf mir zu glauben, daß es einen Gott gibt, der das nicht zu Vergebende vergibt.«
    Hilf mir glauben, daß ich nicht allein bin.
    Hilf mir!
6
    Das große wilde Chaliko riß kreischend und schnaubend mit seinen Klauen den Zwangspferch auf, warf seinen massigen Rumpf gegen die festen Holzplanken, bis die sie zusammenhaltenden Stifte nachzugeben drohten. Vier Graufreif-Cowboys versuchten, es zu halten - zwei an der Longe, die an einem Hackamore eingehängt war, und zwei an einem Fußstrick. Sie strahlten nackte Panik aus, als Benjamin Barrett Travis die drei Erhabenen zum Korral hinüberführte, wo sie dem Einbrechen zusehen wollten.
    »Du willst es wirklich mit diesem klauenfüßigen Killer aufnehmen, Brazos?« fragte Aiken Drum staunend. »Alle Wetter!«
    Das eingepferchte Chaliko erhob sich auf seinem ungefesselten Hinterbein und stieß ein lautes Brüllen aus. Es war ein Blauschimmel von mindestens zwanzig Handspannen Schulterhöhe mit schwarzen Büscheln an den Fesselgelenken, schwarzer Mähne und einem erschreckenden, schwarz umrandeten weißen Auge.
    »Tanas linke Titte!« lästerte Alberonn Gedankenfresser. »Es ist so groß wie ein Nashorn!«
    Brazos Ben befühlte seinen silbernen Halsring. Das Chaliko ließ sich mit einem Plumps in den Pferch zurückfallen. »Teufel, er schnaubt längst nicht so wie andere wilde Chalikos, die ich gezähmt habe. Er ist nicht einmal bösartig von Natur. Nur verängstigt.«
    »Travis hat ganz recht«, meinte der Inquisitor. »Der Verstand des Tiers ist durchtränkt von Angst. Das Zaumzeug, die Fessel an seinem

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