Kein König von Geburt
hinein.
»Entschuldige, daß ich euch unterbrochen habe«, erklärte Amerie förmlich. »Aber als er mich daran erinnerte, daß ... daß Felice ...« Das Gesicht der Nonne verzog sich vor Qual. »Und mit der Sprengung von Gibraltar auf dem Gewissen ... so zu sterben ...«
Elizabeth gestand: »Ich hielt es für das beste, daß die anderen an ihren Tod glauben. Doch du hast sie geliebt. Du verdienst es, die Wahrheit zu erfahren.«
Stocksteif stand die Priesterin vor der Gedankenleserin. Schwester Amerie Roccaro trug keinen goldenen Ring, besaß keine erkennbaren metapsychischen Kräfte, doch in diesem Augenblick sprang das schreckliche Wissen aus dem Gehirn der anderen Frau in ihr eigenes über.
»Felice ist nicht tot?« flüsterte Amerie.
»Nein.«
»Wie lange bist du dessen sicher?«
»Vielleicht sechs Wochen. Ich hatte dies merkwürdige Rufen gehört - das heißt, durch Fernwahrnehmung. Anfangs kam es mir kaum menschlich vor. Ich achtete wenig darauf. Jeder einzelne Tag der Reise hatte seine eigenen überwältigenden Schwierigkeiten. Man neigt dazu, die Emanationen anderer Gehirne abzublocken, um die eigene Energie zu bewahren. Andernfalls würde man von der mentalen Statik verrückt werden. Dies Rufen jedoch ...«
»Du bist sicher, daß es Felice war?«
»Sie hat einmal mit mir ferngesprochen, als ihr auf dem Weg die Rhône hinunter wart, um die Ringefabrik anzugreifen. Daher erinnere ich mich an ihre mentale Unterschrift.« Elizabeth wandte sich ab und sah zu den fernen Bergen hinüber. »Darin sind wir Großmeister ziemlich gut.«
»Elizabeth, warum ... warum ...« Amerie versagte die Stimme. Sie rang um Beherrschung. »Warum hat sie es getan? Ich weiß, natürlich wollte sie Rache. Als wir gleich im Anfang in der Torburg getestet wurden, als die Tanu-Frau uns sagte, wir müßten wie alle anderen menschlichen Sklavinnen Tanu-Kinder austragen, geriet Felice außer sich vor Wut. Es war ... als sehe sie in der Versklavung der Menschheit im Pliozän eine persönliche Beleidigung.«
»Du bist Ärztin ebenso wie Priesterin. Muß ich es dir einzeln auseinandersetzen? Du liebst sie - aber du weißt, was sie ist.«
»Ja.« Die Stimme der Nonne klang untröstlich.
Elizabeth schritt den Balkon hinunter, und Amerie folgte ihr. Sie kamen an die Ostseite des Chalets. Das Azurblau des Lac Provençal verblaßte nahe dem Horizont zu Schiefer. Aus dieser Richtung würde das Gewitter kommen.
»Erinnerst du dich an Culluket, den Inquisitor des Königs?« fragte Elizabeth.
»Ich habe ihn nur einmal gesehen. Als unser Angriff auf die Ringefabrik fehlschlug und wir gefangengenommen wurden - er war derjenige, der uns die grauen Sklavenringe umlegte und uns ins Gefängnis zum Sterben schickte. Ja, ich erinnere mich an den Inquisitor. Er trug eine glühende rote Glasrüstung, und er war der schönste Tanu-Mann, den ich je gesehen habe.«
»Er hat Felice gefoltert.«
»Oh, Jesus!«
»Er hat sie sehr viel schlimmer gequält, als notwendig war, um ihr Informationen zu entreißen. Dionket hat mir während der Evakuierung darüber erzählt. Als Oberhaupt der Redakteursgilde wußte Dionket, was Cull vorhatte - nur hatte er keine Möglichkeit, in die Privatangelegenheiten der Heerschar einzugreifen. Die Folter - die Algesis - zwang Felice in die metapsychische Operanz und gab ihr die Fähigkeit, Rache in vollem Umfang zu nehmen.« Elizabeth hielt inne. »Culls Handarbeit scheint außerdem eine perverse Verbindung zwischen beiden geschaffen zu haben. Darum sucht sie nach ihm, ruft immer wieder seinen Namen im deklamatorischen Modus. Felice ist sich nicht sicher, ob ihr geliebter Folterer die Flut überlebt hat. Ich schon, unglücklicherweise. Cull lebt. Er ist nach Goriah gegangen, weil er hofft, Aiken sei imstande, ihn vor Felice zu schützen. Gott helfe Cull, sollte sie ihn je aufspüren.«
In Amerie kämpfte die Ärztin mit der Liebenden; für den Augenblick gewann die Wissenschaftlerin die Oberhand. »Ja, ich verstehe, was du meinst. Felices Charakter ist natürlich durch und durch sadomasochistisch. Der Inquisitor hat ihr nicht nur furchtbare Schmerzen bereitet, sondern ihr auch die geistige Macht gegeben, nach der sie ihr ganzes Leben verlangt hat. Kein Wunder, daß sie ihn liebt ...«
Elizabeth schwieg.
»Was ... kann man für Felice tun? Ihre Macht ...! Mein Gott, nicht einmal Sankt Jack der Körperlose oder Diamantmaske hätten den Isthmus von Gibraltar sprengen können! Nicht allein.«
»Felice hat ihre
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