Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)

Oder seine Antworten zu hinterfragen und im Stillen umzuschreiben. Schließlich geht es mich ja nichts an, was er schreibt oder nicht schreibt. Er kann machen, was er will. Wir leben in einem freien Land. Da habe ich eigentlich überhaupt gar keine Meinung.
    Mein Gott, sind seine Antworten knapp! Das macht mich kirre! Muss denn alles so kurz sein? Muss er so schroff und unfreundlich sein? Als ich zur nächsten kurzen E-Mail komme, rufe ich unwillkürlich laut: »Bist du allergisch gegen das Tippen, oder was?«
    Es ist lächerlich. Es ist, als hätte er es darauf abgesehen, so wenige Worte wie möglich zu verwenden.
    Ja, gut. Sam
    Wird gemacht, Sam
    Okay. Sam
    Würde es ihn umbringen, »Mit freundlichen Grüßen« hinzuzufügen? Oder einen Smiley? Oder »Danke« zu sagen?
    Und wenn ich schon beim Thema bin: Wieso kann er den Leuten nicht einfach antworten ? Die arme Rachel Elwood versucht, einen »Fun Run« für das Büro zu organisieren, und hat schon zweimal angefragt, ob er eins der Teams übernehmen könnte. Warum sollte er das nicht tun? Es macht Spaß, es ist gesund, es bringt Geld für einen guten Zweck, was kann man dagegen haben?
    Ebenso wenig hat er wegen seiner Unterbringung während der Firmentagung nächste Woche in Hampshire geantwortet. Sie soll im Chiddingford Hotel stattfinden, was super klingt, und man hat ihm eine Suite gebucht, aber er muss jemandem namens Lindy Bescheid sagen, ob er immer noch vorhat, später nachzukommen. Das hat er nämlich nicht.
    Am schlimmsten ist, dass diese arme Zahnarzthelferin ihn schon viermal wegen eines Termins für eine Vorsorgeuntersuchung angemailt hat. Viermal .
    Unwillkürlich werfe ich einen Blick auf die frühere Korrespondenz. Violet hat es offensichtlich aufgegeben. Jedes Mal, wenn sie einen Termin für ihn vereinbart hat, schrieb er zurück: »Sagen Sie ab. S«. Und einmal sogar: »Das soll wohl ein Witz sein.«
    Will er denn, dass seine Zähne verrotten?
    Als ich mich um 8:40 Uhr auf den Weg zur Arbeit mache, ist eine ganz neue Woge von E-Mails eingetroffen. Offenbar fangen diese Leute allesamt im frühen Morgengrauen an zu arbeiten. Die oberste ist von Jon Mailer und trägt den Titel »Was hat das zu bedeuten?«, was ganz spannend klingt, und als ich so die Straße entlanglaufe, öffne ich sie.
    Sam,
    hab gestern Abend Ed im Groucho Club getroffen, und er hatte ziemlich Schlagseite. Ich will nur sagen, seien Sie so gut und lassen Sie ihn nicht so bald mit Sir Nicholas allein, okay?
    Gruß,
    Jon
    Oha. Jetzt möchte ich die Geschichte aber auch wissen. Wer ist Ed, und wieso hatte er im Groucho Club Schlagseite? 23
    Die zweite Mail ist von jemandem namens Willow, und als ich sie anklicke, springen mich die Blockbuchstaben nur so an.
    Violet,
    lassen Sie uns wie Erwachsene damit umgehen. Sie haben GEHÖRT , wie Sam und ich gestritten haben. Es hat keinen Sinn, etwas vor Ihnen zu verbergen.
    Also, da sich Sam WEIGERT , auf die E-Mail zu antworten, die ich ihm vor einer halben Stunde geschickt habe, könnten Sie vielleicht so nett sein, diesen Anhang auszudrucken und IHM AUF DEN SCHREIBTISCH ZU LEGEN, DAMIT ER IHN SICH ANSIEHT ?
    Vielen Dank dafür.
    Willow
    Schockiert starre ich das Handy an, möchte am liebsten loslachen. Willow scheint seine Verlobte zu sein. Holla.
    Ihre Adresse ist [email protected] . Sie arbeitet bei White Globe Consulting und schreibt Sam trotzdem E-Mails? Ist das nicht etwas seltsam? Es sei denn, sie arbeiten vielleicht auf verschiedenen Etagen. Könnte sein. Ich habe Magnus auch schon mal vom Schlafzimmer oben angemailt und gefragt, ob er mir einen Becher Tee machen würde.
    Ich frage mich, was wohl im Anhang ist.
    Meine Finger zögern, als ich an einem Zebrastreifen stehen bleibe. Es wäre verwerflich, ihn zu lesen. Ausgesprochen verwerflich. Ich meine, es ist ja keine Rundmail, auf der haufenweise Leute als CC stehen. Es ist ein privates Dokument zwischen zwei Menschen, die eine Beziehung miteinander führen. Ich sollte mir den Anhang nicht ansehen. Es war schon schlimm genug, dass ich die Mail von seinem Vater gelesen habe.
    Aber andererseits … sie möchte, dass sie ausgedruckt wird, oder? Dass man sie Sam auf den Schreibtisch legt, wo jeder sie lesen kann, der gerade vorbeikommt. Und es ist ja nicht gerade so, als wäre ich indiskret. Ich werde sie niemandem gegenüber erwähnen. Niemand wird je erfahren, dass ich sie gesehen habe …
    Meine Finger scheinen ein Eigenleben zu besitzen. Schon klicke ich den Anhang