Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
sie schließlich. »Weißt du, wie viele Banker ich beim London Marathon massiert habe? Weißt du, wie sehr ich mich bemühe?«
Annalise ist vor ein paar Jahren auf den London Marathon aufmerksam geworden, als der im Fernsehen lief und ihr bewusst wurde, wie viele fitte Vierzigjährige daran teilnahmen, die vermutlich Single waren, weil sie schließlich immer nur laufen gingen, und – okay – vierzig war schon ziemlich alt, aber überleg mal, was die so verdienen …
Deshalb meldet sie sich jedes Jahr freiwillig als Notfall-Physiotherapeutin. Sie geht zielstrebig auf die attraktivsten Männer zu und massiert ihnen die Unterschenkelmuskeln oder sonst was und sieht sie dabei mit ihren großen blauen Augen an und erklärt ihnen, dass sie immer schon für wohltätige Zwecke tätig war. 26
Fairerweise muss man sagen, dass es ihr eine ganze Menge Rendezvous eingebracht hat – einer ist sogar mit ihr nach Paris geflogen –, aber nichts Längeres oder Ernstes, was doch aber ihr sehnlichster Wunsch war. Allerdings würde sie nie zugeben, dass sie auch extrem wählerisch ist. Sie sagt, sie suche einen »richtig netten, gradlinigen Typen, der noch innere Werte besitzt«, und sie hatte auch schon mehrere von der Sorte, die bis über beide Ohren in sie verliebt waren, aber sie hat sie allesamt abserviert, sogar den gutaussehenden Schauspieler (seine Verpflichtung für irgendeine Rolle ging zu Ende, und es stand kein weiterer Job an). In Wahrheit sucht sie einen Mann, der aussieht wie aus einer Gillette-Werbung, mit einem Riesengehalt und/oder einem Titel. Am besten beides. Ich glaube, deshalb ist sie so sauer, dass ihr Magnus durch die Lappen gegangen ist, denn der ist »Dr.«. Einmal hat sie mich gefragt, ob er eines Tages Professor werden würde, und ich sagte, wahrscheinlich ja, und da wurde sie irgendwie ganz grün.
Ruby schreibt etwas, dann schraubt sie die Kappe auf ihren Füller. »Nun, ich denke, wir haben die Fakten geklärt. Gut gemacht, Leute.«
»Willst du sie denn nicht verwarnen oder irgendwas?« Annalise schmollt immer noch.
»Oh, stimmt auch wieder.« Ruby nickt und räuspert sich. »Poppy, mach das nicht noch einmal!«
»Okay.« Ich zucke mit den Schultern.
»Das werde ich schriftlich festhalten und dem Prüfer vorlegen. Es müsste ihn eigentlich zufriedenstellen. Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass ich einen trägerlosen BH gefunden habe, den ich perfekt unter meinem Brautjungfernkleid tragen kann?« Ruby strahlt mich an und ist wieder ganz die lustige Alte. »Aquamarinblauer Satin. Der reine Luxus.«
»Klingt ja toll!« Ich stehe auf und greife nach dem Tablett von Costa Coffee. »Ist einer davon für mich?«
»Ich hab dir einen Flat White mitgebracht«, sagt Annalise zähneknirschend. »Mit Muskat.«
Als ich danach greife, stöhnt Ruby leise auf. »Poppy! Hast du deinen Ring denn noch nicht wiedergefunden?«
Ich blicke auf und sehe, dass Annalise und Ruby beide meine linke Hand anstarren.
»Nein«, räume ich widerstrebend ein. »Ich meine, irgendwann taucht er wieder auf …«
»Scheiße.« Annalise hält sich den Mund zu.
»Ich dachte, du hättest ihn gefunden.« Ruby runzelt die Stirn. »Ich war mir sicher, dass jemand gesagt hat, du hättest ihn gefunden.«
»Nein. Noch nicht.«
Ich bin nicht eben begeistert von der Reaktion der beiden. Niemand sagt: »Keine Sorge«, oder »So was kommt vor«. Beide sehen geradezu entgeistert aus, selbst Ruby.
»Und was willst du jetzt machen?« Rubys Stirn liegt in Falten.
»Was hat Magnus gesagt?«, wirft Annalise ein.
»Ich …« Ich nehme einen Schluck Kaffee, um Zeit zu schinden. »Ich habe es ihm noch nicht erzählt.«
»Ach du Schande.« Ruby atmet aus.
»Wie viel ist er wert?« Annalise stellt verlässlich alle Fragen, über die ich nicht nachdenken möchte.
»Ziemlich viel, glaube ich. Ich meine, da gibt es natürlich Versicherungen …«, erstirbt meine Stimme langsam.
»Und wann willst du es Magnus endlich erzählen?« Ruby hat ihre missbilligende Miene aufgesetzt. Ich hasse diese Miene. Da fühle ich mich immer gleich klein und hilflos. Wie damals, als sie mich dabei erwischt hat, wie ich eine Ultraschallbehandlung vorgenommen und währenddessen eine SMS geschrieben habe 27 . Ruby ist ein Mensch, dem man instinktiv gern gefallen möchte.
»Heute Abend. Ihr beide habt den Ring nirgendwo gesehen, oder?«, kann ich mir nicht verkneifen, obwohl es lächerlich ist, als wäre es möglich, dass eine von beiden plötzlich sagt:
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