Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
zumute ist. Was stimmt. Das Recht steht immer auf der Seite der Besitzenden. 9
»Sie haben es ›in Besitz genommen‹? Was zum Teufel …?« Er flucht noch ein bisschen, und ich höre Schritte in der Ferne. Er hört sich an, als würde er eine Treppe hinunterlaufen. 10 »Sagen Sie mir einfach: Wollen die gehen?«
»Die Japaner?« Ich blinzle zu dem Pulk hinüber. »Vielleicht. Schwer zu sagen.«
»Ist bei denen ein kleiner Mann? Übergewichtig? Dichtes Haar?«
»Sie meinen den Mann im blauen Anzug? Ja, der steht direkt vor mir. Sieht genervt aus. Jetzt zieht er seinen Mantel an.«
Der untersetzte Japaner hat gerade von einem Kollegen einen Burberry gereicht bekommen. Er macht ein finsteres Gesicht, als er ihn anzieht, und seinem Mund entströmt ein steter Fluss von wütendem Japanisch, während seine Freunde allesamt nicken.
»Nein!« Die Stimme des Mannes im Telefon überrascht mich. »Er darf nicht gehen.«
»Na ja, macht er aber. So leid es mir tut.«
»Sie müssen ihn aufhalten! Gehen Sie zu ihm und hindern Sie ihn daran, das Hotel zu verlassen. Jetzt gleich. Um jeden Preis!«
» Bitte ?« Ich starre das Handy an. »Hören Sie. Tut mir leid, aber ich kenne Sie gar nicht …«
»Ich Sie auch nicht«, erwidert er. »Wer sind Sie eigentlich? Sind Sie eine Freundin von Violet? Können Sie mir erklären, wie sie darauf kommt, ihren Job mitten in der wichtigsten Konferenz des Jahres zu kündigen? Meint sie, ich bräuchte plötzlich keine persönliche Assistentin mehr?«
Aha! Violet ist also seine persönliche Assistentin. Das erklärt manches. Und sie hat ihn sitzen lassen! Nun, das überrascht mich überhaupt nicht, wenn er einen so herumkommandiert.
»Egal.« Er unterbricht sich. »Das Problem ist: Ich bin auf der Treppe, neunter Stock. Der Fahrstuhl steckt fest. Ich brauche keine drei Minuten. Sie müssen Yuichi Yamasaki festhalten, bis ich da bin. Wer Sie auch sein mögen.«
Der hat ja Nerven.
»Sonst … was ?«, entgegne ich.
»Sonst geht ein Jahr eingehender Verhandlungen den Bach runter, wegen eines einzigen kleinen Missverständnisses. Der größte Deal des Jahres geht den Bach runter. Zwanzig Leute werden ihre Jobs verlieren.« Seine Stimme klingt gnadenlos. »Leitende Angestellte, Sekretärinnen, die ganze Chose. Nur weil ich nicht schnell genug unten bin und der einzige Mensch, der helfen könnte, nicht helfen will.«
Wieso immer ich?
»Schon gut!«, sage ich wütend. »Ich geh ja schon! Wie heißt er noch gleich?«
»Yamasaki.«
»Moment!«, rufe ich, als ich durch die Lobby renne. »Bitte! Mr. Yamasaki? Könnten Sie kurz warten?«
Mr. Yamasaki dreht sich um, fragend, und ein paar Lakaien treten vor, flankieren ihn beschützend. Er hat ein breites Gesicht, ganz zerknautscht vor Ärger, und einen breiten, bulligen Nacken, um den er sich gerade einen Seidenschal wirft. Ich habe so das Gefühl, als sei ihm nicht nach plaudern zumute.
Ich habe keine Ahnung, was ich als Nächstes sagen soll. Ich spreche kein Japanisch, ich verstehe weder was von japanischen Geschäften noch von japanischer Kultur. Abgesehen von Sushi. Aber ich kann ja schlecht auf ihn zugehen und aus heiterem Himmel »Sushi!« sagen. Das wäre so, als würde ich auf einen amerikanischen Geschäftsmann zugehen und »T-Bone-Steak!« sagen.
»Ich bin ein Riesenfan …«, improvisiere ich, »… Ihrer Arbeit. Würden Sie mir vielleicht ein Autogramm geben?«
Er wirkt verdutzt, und einer seiner Kollegen flüstert ihm die Übersetzung ins Ohr. Augenblicklich glättet sich seine Stirn, und er verneigt sich vor mir.
Vorsichtig erwidere ich die Verneigung, und er schnippt mit dem Finger, bellt eine Anweisung. Im nächsten Moment hat man vor ihm einen kostbaren Lederordner aufgeschlagen, und er schreibt etwas verschnörkeltes Japanisches.
»Ist er noch da?« Plötzlich dringt die Stimme des Fremden aus dem Handy.
»Ja«, raune ich hinein. »Mehr oder weniger. Wo sind Sie?« Ich schenke Mr. Yamasaki mein strahlendstes Lächeln.
»Fünfter Stock. Halten Sie ihn fest. Um jeden Preis!«
Mr. Yamasaki reicht mir sein Blatt, schraubt die Kappe auf seinen Füller, verneigt sich noch einmal und will gehen.
»Augenblick!«, rufe ich verzweifelt. »Dürfte ich … Ihnen etwas zeigen?«
»Mr. Yamasaki ist sehr beschäftigt.« Einer seiner Kollegen – mit Stahlbrille und dem weißesten Hemd, das ich je gesehen habe – dreht sich zu mir um. »Seien Sie so freundlich und wenden sich an unser Büro.«
Sie machen sich wieder auf den Weg.
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