Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
Was soll ich tun? Ich kann ihn ja schlecht um noch ein Autogramm bitten. Aber ich kann mich auch nicht auf ihn stürzen wie beim Rugby. Irgendwie muss ich seine Aufmerksamkeit erregen …
»Ich habe etwas zu verkünden!«, rufe ich laut und laufe ihnen hinterher. »Ich bin ein singendes Telegramm! Ich überbringe eine Botschaft der zahllosen Fans von Mr. Yamasaki. Es wäre ihnen gegenüber wirklich sehr unhöflich, mich zurückzuweisen.«
Das Wort »unhöflich« scheint seine Wirkung zu tun. Stirnrunzelnd bleiben sie stehen und tauschen ratlose Blicke.
»Ein singendes Telegramm?«, fragt der Mann mit der Stahlbrille argwöhnisch.
»So was wie ein Gorillagramm«, meine ich. »Nur gesungen.«
Ich bin mir nicht sicher, ob das irgendwas erklärt.
Der Dolmetscher murmelt aufgeregt in Mr. Yamasakis Ohr und erklärt mir kurz darauf: »Singen Sie.«
Mr. Yamasaki dreht sich zu mir um, und alle seine Kollegen tun es ihm nach, verschränken erwartungsvoll die Arme und bauen sich nebeneinander auf. Überall in der Lobby sehe ich die interessierten Blicke anderer Geschäftsleute.
»Wo sind Sie?«, fauche ich verzweifelt ins Handy.
»Dritter Stock«, höre ich die Stimme des Mannes einen Moment später. »Halbe Minute noch. Lassen Sie ihn nicht gehen!«
»Los, fangen Sie an!«, zischt mich der Mann mit der Stahlbrille an.
Einige andere Hotelgäste in der Lobby sind stehen geblieben, um zuzusehen. O Gott. Wie bin ich nur in diese Situation geraten? Erstens kann ich nicht singen. Zweitens: Was singe ich einem japanischen Geschäftsmann vor, dem ich noch nie begegnet bin? Drittens: Warum habe ich singendes Telegramm gesagt?
Aber wenn ich nicht bald was tue, könnten zwanzig Leute ihren Job verlieren.
Ich verneige mich tief, nur um noch mehr Zeit zu schinden, und alle Japaner verneigen sich vor mir.
» Fangen Sie an «, wiederholt der Typ mit der Stahlbrille, und seine Augen blitzen beunruhigend.
Ich hole tief Luft. Komm schon. Ist doch egal, was ich mache. Ich muss nur eine halbe Minute durchhalten. Dann kann ich weglaufen, und sie sehen mich nie wieder.
»Mister Yamasaki …«, beginne ich vorsichtig zu der Melodie von »Single Ladies«. »Mister Yamasaki. Mister Yamasaki, Mister Yamasaki.« Ich wiege meine Hüften und Schultern, genau wie Beyoncé. 11 »Mister Yamasaki, Mister Yamasaki.«
Eigentlich ist es ganz einfach. Ich brauche keinen Text, ich kann einfach immer weiter »Mister Yamasaki« singen. Bald darauf fangen einige der Japaner sogar an mitzusingen und klopfen Mister Yamasaki auf die Schulter.
»Mister Yamasaki, Mister Yamasaki. Mister Yamasaki, Mister Yamasaki.« Ich erhebe meinen Zeigefinger und wackle damit augenzwinkernd in seine Richtung. »Oooh-ooh-ooh … ooh-ooh-ooh …«
Dieser Song ist unglaublich eingängig. Inzwischen singen alle Japaner mit, abgesehen von Mister Yamasaki, der nur dasteht und sich freut. Einige der umstehenden Konferenzteilnehmer haben mit eingestimmt, und ich höre einen von ihnen sagen: »Ist das hier ein Flashmob oder so was?«
»Mister Yamasaki, Mister Yamasaki, Mister Yamasaki … Wo sind Sie?«, knurre ich lächelnd ins Telefon.
»Ich sehe Ihnen zu.«
» Was ?« Ich reiße den Kopf hoch und suche die Lobby ab.
Plötzlich bleibt mein Blick an einem Mann hängen, der etwa dreißig Meter entfernt steht. Er trägt einen schwarzen Anzug, hat dichtes, schwarzes, zerzaustes Haar und hält ein Handy an sein Ohr. Selbst auf die Entfernung kann ich sehen, dass er lacht.
»Wie lange stehen Sie schon da?«, fahre ich ihn wütend an.
»Bin gerade gekommen. Wollte Sie nicht unterbrechen. Gut gemacht, übrigens«, fügt er hinzu. »Ich glaube, damit haben Sie Yamasaki für uns gewonnen.«
»Keine Ursache«, sage ich sarkastisch. »Ich freue mich immer, wenn ich helfen kann. Er gehört ganz Ihnen.« Mit ausschweifender Geste verneige ich mich vor Mr. Yamasaki, dann mache ich auf dem Absatz kehrt und steuere zielstrebig den Ausgang an, ignoriere die enttäuschten Rufe der Japaner. Ich habe Wichtigeres zu tun, als mich um arrogante Fremde und ihre blöden Deals zu kümmern.
»Moment!« Die Stimme des Mannes folgt mir durch den Hörer. »Das Handy! Es gehört meiner Assistentin!«
»Na, dann hätte sie es eben nicht wegwerfen dürfen«, antworte ich, als ich durch die Glastür trete. »Wer’s findet, dem gehört’s.«
Es sind zwölf Stationen mit der U-Bahn von Knightsbridge bis zu Magnus’ Elternhaus im Norden von London, und sobald ich aus der Unterwelt wieder an die Luft
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