komme, checke ich mein Handy. Es blinkt mit neuen Nachrichten – ungefähr zehn SMS und zwanzig E-Mails –, aber nur fünf der SMS sind für mich, und keine hat etwas mit meinem Ring zu tun. Eine ist von der Polizei, und mein Herz tut einen kleinen hoffnungsvollen Hüpfer, doch man bestätigt mir nur, dass der Verlust des Rings vom Hotel gemeldet worden sei, und fragt, ob ich Besuch von einem Beamten der Opferbetreuung haben möchte.
Alles andere sind SMS und E-Mails für Violet. Mir fällt auf, dass in ziemlich vielen Betreffzeilen »Sam« steht. Augenblicklich fühle ich mich wieder wie Monsieur Poirot, sehe mir die Funktion »Abgehende Anrufe« an, und tatsächlich war die letzte Nummer, die sie angerufen hat, »Sam Mobil«. Das ist er also. Violets Chef. Der Typ mit den zerzausten schwarzen Haaren. Und wie zum Beweis lautet ihre E-Mail-Adresse:
[email protected] .
In einem Anflug von Neugier klicke ich eine der E-Mails an. Sie ist von
[email protected] , und in der Betreffzeile steht: »Re: Abendessen?«
Danke, Violet. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Sam gegenüber nichts davon erwähnen würden. Es ist mir etwas peinlich!
Ooh. Was ist ihr denn peinlich? Bevor ich mich bremsen kann, habe ich bereits weitergescrollt, um die vorherige Mail von gestern zu lesen.
Sie sollten etwas wissen, Jenna: Sam ist verlobt. Liebe Grüße, Violet.
Er ist verlobt. Interessant. Als ich die Worte noch mal lese, spüre ich eine leise Reaktion in mir, die ich nicht recht einschätzen kann – Überraschung?
Aber warum sollte es mich überraschen? Ich kenne den Mann ja gar nicht.
Okay, jetzt muss ich die ganze Geschichte in Erfahrung bringen. Was ist Jenna peinlich? Was ist passiert? Ich scrolle weiter und finde eine lange Mail von Jenna, die diesen Sam Roxton offenbar bei einem Geschäftsessen kennengelernt und sich in ihn verguckt hat. Vor zwei Wochen wollte sie ihn dann zum Abendessen einladen, konnte ihn aber nie erreichen.
… habe es gestern noch mal versucht … vielleicht hatte ich die falsche Nummer … man hat mir gesagt, er sei schwer zu erreichen, und am besten sucht man den Kontakt über seine Assistentin … tut mir sehr leid, Sie zu belästigen … wenn Sie mir vielleicht Bescheid geben könnten, so oder so …
Arme Frau. Ich bin direkt entrüstet. Wieso hat er nicht geantwortet? Wie schwer kann es sein, ein kurzes »Nein, danke« zu mailen? Und dann stellt sich heraus, dass er verlobt ist!
Egal. Wie dem auch sei. Plötzlich wird mir klar, dass ich in der Eingangsbox von jemand anderem herumschnüffle, während ich viele andere, wichtigere Dinge zu bedenken habe. Prioritäten , Poppy. Ich muss irgendwo Wein für Magnus’ Eltern kaufen. Und eine »Herzlich Willkommen«-Karte. Und falls ich den Ring nicht innerhalb der nächsten zwanzig Minuten auftreibe – Handschuhe.
Katastrophe. Katastrophe . Wie sich herausstellt, gibt es im April nirgends Handschuhe zu kaufen. Die einzigen, die ich finden konnte, stammten aus einer Grabbelkiste von Accessorize. Alte Weihnachtsware, nur in kleiner Größe erhältlich.
Ich kann es nicht fassen, dass ich ernstlich in Erwägung ziehe, meine potentiellen Schwiegereltern mit viel zu engen, roten Rentier-Wollhandschuhen zu begrüßen. Mit Troddeln.
Aber ich habe keine Wahl. Entweder das oder ihnen nackthändig entgegentreten.
Als ich den langen Anstieg den Hügel hinauf zu ihrem Haus beginne, wird mir ernstlich übel. Es liegt nicht nur am Ring. Mir macht die ganze Geschichte mit meinen Schwiegereltern Angst. Ich komme um die Kurve – und alle Fenster des Hauses sind hell erleuchtet. Sie sind da.
Ich habe noch nie ein Haus gesehen, das besser zu seinen Bewohnern passt als das der Tavishes. Es ist älter und hochherrschaftlicher als alle anderen in der Straße, und es blickt von seiner erhabenen Position auf seine Nachbarn herab. Im Garten gibt es Eiben und eine Chilefichte. Die Mauersteine sind von Efeu überwuchert, und die Fenster haben noch ihre originalen Holzrahmen von 1835. Die Tapeten stammen aus den 1960er Jahren, und auf den Dielen liegen türkische Teppiche.
Nur kann man die Teppiche gar nicht sehen, weil sie größtenteils von alten Dokumenten und Manuskripten übersät sind, die anscheinend niemand wegräumen möchte. In der Familie Tavish ist niemand scharf aufs Putzen. Einmal habe ich in einem Gästezimmer ein versteinertes, hart gekochtes Ei gefunden mit einem vertrockneten Toast. Es muss etwa ein Jahr alt gewesen