Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
wobei meine Gedanken nur so rasen. Soll ich die Straße runterrennen und eine Telefonzelle suchen? Soll ich noch einmal versuchen reinzukommen? Soll ich die Lobby stürmen und sehen, wie weit ich komme, bevor man mich zu Boden reißt? Inzwischen steht Sam vor den Fahrstühlen und redet immer noch auf den Mann mit der Aktentasche ein. Gleich ist er weg. Es ist eine Tortur. Könnte ich ihn doch nur auf mich aufmerksam machen …
»Kein Glück?«, sagt der Fensterputzer mitfühlend oben auf seiner Leiter. Er hat eine riesige Glasscheibe mit Seifenlauge eingeschäumt und will diese gerade mit seinem Wischding abwischen.
Da habe ich eine Idee.
»Moment!«, rufe ich ihm zu. »Nicht wischen! Bitte!«
In meinem ganzen Leben habe ich noch nie in Seifenlauge geschrieben, aber glücklicherweise habe ich nichts Ehrgeiziges vor. Nur »M A S«. In zwei Meter hohen Buchstaben. Etwas krakelig, aber wer will da meckern?
»Hübsch«, sagt der Fensterputzer, der sich hingesetzt hat, anerkennend. »Sie können gleich bei mir anfangen.«
»Danke«, sage ich bescheiden und wische mit schmerzendem Arm über meine Stirn.
Wenn Sam das nicht sieht, wenn nicht irgendwer es bemerkt, ihm an die Schulter tippt und sagt: »Hey, guck mal da …«
»Poppy?«
Ich drehe mich um und blicke von meinem Hochsitz oben auf der Leiter des Fensterputzers herab. Da steht Sam auf dem Bürgersteig und blickt ungläubig zu mir auf.
»Bin ich damit gemeint?«
Schweigend fahren wir mit dem Lift nach oben. Vicks wartet in Sams Büro. Als sie mich sieht, schlägt sie sich mit der flachen Hand an die Stirn.
»Ich kann nur hoffen, dass es wirklich wichtig ist«, sagt Sam knapp, als er die Glastür hinter uns schließt. »Mehr als fünf Minuten kann ich nicht erübrigen. Wir haben hier so was wie einen Notfall …«
Kurz blitzt Ärger in mir auf. Meint er denn, das hätte ich noch nicht mitbekommen? Meint er, ich hätte aus Spaß mit zwei Meter hohen seifigen Buchstaben » SAM « an die Scheibe geschrieben?
»Das weiß ich zu schätzen«, sage ich ebenso knapp. »Ich dachte nur, Sie würden sich vielleicht für gewisse Nachrichten interessieren, die letzte Woche auf Violets Handy eingegangen sind. Auf diesem Handy.« Ich greife nach dem Telefon, das noch immer auf dem Schreibtisch liegt.
»Wessen Handy ist das?«, sagt Vicks und mustert mich argwöhnisch.
»Violets«, antwortet Sam. »Meine Assistentin? Clives Tochter? Die sich aus dem Staub gemacht hat, um Model zu werden?«
»Ach, die.« Wieder runzelt Vicks die Stirn und deutet auf mich. »Und was hat sie mit Violets Handy zu tun?«
Sam und ich sehen uns an.
»Lange Geschichte«, sagt Sam schließlich. »Violet hat es weggeworfen. Poppy hat es für uns … aufbewahrt.«
»Da kamen ein paar Nachrichten rein, die ich mir aufgeschrieben habe.« Ich lege das Programm vom König der Löwen zwischen die beiden und lese die Nachrichten sicherheitshalber vor, weil ich weiß, dass meine Schrift manchmal schwer zu entziffern ist. »›Scottie weiß jemanden, Schlüssellochchirurgie, hinterlässt keine Spuren, sei verdammt vorsichtig.‹« Ich deute auf das Programm. »Die zweite Nachricht kam zwei Tage später von Scottie selbst. ›Alles erledigt. Es war ein chirurgischer Eingriff. Hat keine Spuren hinterlassen. Genial, wenn ich so sagen darf. Adios, Santa Claus.‹« Ich lasse die Worte etwas wirken, bevor ich hinzufüge: »Die erste Nachricht war von Justin Cole.«
» Justin ?« Das scheint Sam zu alarmieren.
»Zu dem Zeitpunkt kannte ich ihn noch nicht und konnte seine Stimme nicht einordnen, aber jetzt. Er war der Mann, der ›Schlüssellochchirurgie‹ und ›hinterlässt keine Spuren‹ gesagt hat.«
»Vicks.« Sam sieht sie an. »Komm schon. Jetzt musst du doch einsehen …«
»Ich sehe überhaupt nichts ein! Ich höre nur unzusammenhängende Worte. Woher wollen wir überhaupt wissen, ob es wirklich Justin war?«
Sam wendet sich mir zu. »Sind das Mailbox-Nachrichten? Können wir sie uns noch anhören?«
»Nein. Es waren nur … na ja … telefonische Nachrichten. Jemand hat sie hinterlassen, und ich habe sie aufgeschrieben.«
Vicks kann es nicht glauben. »Okay, das ergibt überhaupt keinen Sinn. Haben Sie denn Ihren Namen genannt? Warum sollte Justin bei Ihnen eine Nachricht hinterlassen?« Sie schnauft wütend. »Sam, ich habe keine Zeit für diese …«
»Er wusste nicht, dass ich ein Mensch bin«, erkläre ich und laufe rot an. »Ich habe so getan, als wäre ich ein
Weitere Kostenlose Bücher