Kein Land für alte Männer
Betonblöcken bestehende fensterlose Raum war leer bis auf drei Maschinentische auf Rädern. Auf zweien lagen mit Plastikplanen abgedeckte Leichen. Die Schwester blieb mit dem Rücken zur offenen Tür stehen, während sie sich an ihr vorbeischoben.
Er ist doch kein Freund von dir, oder, Ed Tom?
Nein.
Er ist ein paarmal im Gesicht getroffen worden, deshalb sieht er wohl nicht allzu gut aus. Nicht, dass ich nicht schon Schlimmeres gesehen hätte. Der Highway da ist ein regelrechter Kriegsschauplatz, wenn du die Wahrheit wissen willst.
Er zog die Plane zurück. Bell ging um das Ende des Tisches herum. Moss’ Nacken wurde nicht von einem Keil gestützt, und sein Kopf war zur Seite gedreht. Ein Auge teils geöffnet. Er sah aus wie ein Bösewicht auf einem Sektionstisch. Sie hatten das Blut von ihm abgewaschen, aber er hatte Einschusslöcher im Gesicht, und seine Zähne waren herausgeschossen.
Ist er das?
Ja, das ist er.
Du siehst aus, als wär’s dir lieber, er wär’s nicht.
Ich muss es seiner Frau sagen.
Das tut mir leid.
Bell nickte.
Tja, sagte der Sheriff, es gibt nichts, was du da hättest machen können.
Nein, sagte Bell. Aber man denkt halt immer gern, man hätte.
Der Sheriff bedeckte Moss’ Gesicht, griff nach der Plastikplane auf dem anderen Tisch, zog sie zurück und sah Bell an. Bell schüttelte den Kopf.
Sie hatten zwei Zimmer gemietet. Das heißt, er hatte sie gemietet. Bar bezahlt. Den Namen im Gästebuch kann man nicht lesen. Bloß ein Gekritzel.
Er heißt Moss.
In Ordnung. Wir protokollieren deine Aussage im Büro. Nicht viel dran an der Kleinen.
Er bedeckte ihr Gesicht wieder. Dieser Teil der Geschichte wird seiner Frau auch nicht gefallen, sagte er. Ja, das denk ich auch.
Der Sheriff sah die Schwester an. Sie lehnte immer noch an der Tür. Wie oft ist sie getroffen worden?, fragte er. Wissen Sie das?
Nein, Sheriff. Sie können Sie sich ruhig ansehen, wenn Sie wollen. Ich hab nichts dagegen, und sie bestimmt auch nicht.
Schon gut. Das steht dann ja alles im Obduktionsbericht. Bist du fertig, Ed Tom?
Ja. Das war ich schon, bevor ich hier reingekommen bin.
Er saß allein und bei geschlossener Tür im Büro des Sheriffs und starrte das Telefon auf dem Schreibtisch an. Schließlich stand er auf und ging hinaus. Der Deputy blickte auf.
Er ist wohl nach Hause gegangen.
Ja, Sir, sagte der Deputy. Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Sheriff?
Wie weit ist es bis El Paso?
Knapp zweihundert Kilometer.
Sagen Sie ihm, dass ich mich bedanke und ihn morgen anrufe.
Ja, Sir.
Auf der anderen Seite der Stadt machte er halt, aß und betrachtete, während er am Tisch saß und seinen Kaffee trank, die Lichter auf dem Highway. Irgendetwas stimmte nicht. Er wurde einfach nicht schlau daraus. Er sah auf seine Uhr. 1 Uhr 20. Er zahlte, ging hinaus, stieg in den Wagen und saß einen Moment lang einfach nur da. Dann fuhr er zur Kreuzung, wandte sich Richtung Osten und fuhr wieder zurück zum Motel. Chigurh nahm sich ein Zimmer in einem Motel an der ostwärts führenden Interstate, ging im Dunkeln über ein windiges Feld und schaute durch ein Fernglas über den Highway. Bedrohlich schoben sich die großen Fernlaster vor die Linse und zogen vorüber. Er saß in der Hocke, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und beobachtete. Dann kehrte er ins Motel zurück.
Er stellte seinen Wecker auf ein Uhr, und als das Gerät klingelte, stand er auf, duschte, zog sich an, ging mit seiner kleinen Ledertasche zu seinem Wagen hinaus und verstaute sie hinter dem Sitz.
Er parkte auf dem Parkplatz des Motels und blieb einige Zeit im Wagen sitzen. Lehnte sich im Sitz zurück und beobachtete das Gebäude im Rückspiegel. Nichts. Die Polizeiwagen waren längst fort. Das gelbe Absperrband vor der Tür hob sich im Wind, und die Laster, die nach Arizona und Kalifornien unterwegs waren, dröhnten vorüber. Er stieg aus, ging zur Tür, schoss mit dem Bolzenschussgerät das Schloss heraus, ging hinein und schloss die Tür hinter sich. In dem Licht, das durch die Fenster einfiel, konnte er das Zimmer recht deutlich sehen. Kleine Lichtpunkte von den Einschusslöchern in der Sperrholztür. Er schob das Nachtschränkchen an die Wand hinüber, stieg darauf, zog einen Schraubenzieher aus der Gesäßtasche und begann die Schrauben der jalousieartigen Abdeckung des Belüftungsschachts herauszudrehen. Er legte die Abdeckung auf den Tisch, griff in den Schacht, zog die Tasche heraus, stieg vom Nachtschränkchen, trat ans Fenster und schaute hinaus auf den Parkplatz. Er
Weitere Kostenlose Bücher