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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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spaltet?«
    »Kenne ich.«
    »Ich frage mich oft, ob es wohl welche gibt, in denen was anderes aus uns geworden ist – oder umgekehrt, ob wir auf jeden Fall hier gelandet wären?«
    McGuane grinste. »Du wirst mir doch kein Weichei werden, John?«
    »Unwahrscheinlich«, sagte der Ghost. »Aber in ehrlichen Momenten komme ich nicht um die Frage herum, ob es so ausgehen musste.«
    »Du quälst gerne Menschen, John.«
    »Stimmt.«
    »Und zwar schon immer.«
    Der Ghost überlegte. »Nein, nicht immer. Aber die wichtigere Frage ist natürlich, warum?«
    »Warum du gern Menschen quälst?«
    »Nicht nur das Quälen. Ich bringe sie gern auf schmerzhafte Weise um. Ich erdrossle sie, weil das ein scheußlicher Tod ist. Keine schnelle Kugel. Kein plötzlicher Messerstich. Man kämpft buchstäblich um den letzten Atemzug. Man spürt, wie einem der lebensnotwendige Sauerstoff vorenthalten wird. Das mache ich, ich bin ganz nahe dran und sehe ihnen zu, wenn sie vergeblich um ihren letzten Atemzug kämpfen.«
    »Ts, ts.« McGuane stellte sein Glas ab. »Auf Partys bist du bestimmt ’ne echte Stimmungskanone, John.«
    »Auf jeden Fall«, nickte der Ghost. Dann wurde er wieder ernst und fragte: »Aber wieso macht mich das an, Philip? Was ist mit mir los, mit meinem moralischen Kompass, dass ich mich am lebendigsten fühle, wenn ich jemandem die Luft abdrücke?«
    »Du willst doch hoffentlich nicht deinem Daddy die Schuld in die Schuhe schieben, John?«
    »Nein, das wäre zu einfach.« Er stellte seinen Drink ab und wandte sich McGuane zu. »Hättest du mich umgebracht, Philip? Wenn ich die beiden Männer am Friedhof nicht abgeräumt hätte, hättest du mich dann umbringen lassen?«
    McGuane entschied sich für die Wahrheit. »Weiß ich nicht«, sagte er. »Wahrscheinlich.«
    »Und du bist mein bester Freund«, sagte der Ghost.
    »Und du wahrscheinlich meiner.«
    Der Ghost lächelte. »Wir waren schon nicht schlecht, oder, Philip?« McGuane antwortete nicht.
    »Ich kenne Ken, seit ich vier bin«, fuhr der Ghost fort. »Seine Eltern hatten alle Kinder der Umgebung gewarnt, dass sie sich von unserem Haus fern halten sollten. Die Asseltas sind kein guter Umgang, hieß es. Weißt du ja.«
    »Weiß ich«, sagte McGuane.
    »Aber für Ken sind wir dadurch erst interessant geworden. Er hat immer gern in unserm Haus rumgeschnüffelt. Ich weiß noch, wie er die Waffe von meinem Alten gefunden hat. Ich glaub, da waren wir sechs. Ich weiß noch, wie ich sie in der Hand gehalten hab. Dieses Machtgefühl. Das hat uns hypnotisiert. Wir haben Richard Werner damit erschreckt – ich glaube, den kennst du nicht, er ist in der dritten Klasse weggezogen. Wir haben ihn mal entführt und gefesselt. Er hat geflennt und sich in die Hosen gepisst.«
    »Und du warst begeistert.«
    Der Ghost nickte langsam. »Schon möglich.«
    »Eine Frage«, sagte McGuane.
    »Ja?«
    »Wenn dein Vater eine Knarre hatte, warum hast du dann bei Daniel Skinner ein Küchenmesser genommen?«

    Der Ghost schüttelte den Kopf. »Darüber will ich nicht reden.«
    »Hast du auch noch nie getan.«
    »Stimmt.«
    »Wieso nicht?«
    Er beantwortete die Frage nicht direkt. »Mein Alter hat rausgefunden, dass wir mit der Waffe gespielt haben«, sagte er. »Er hat mir ’ne ordentliche Tracht Prügel verpasst.«
    »Hat er das öfter gemacht?«
    »Ja.«
    »Wolltest du dich je an ihm rächen?«, fragte McGuane.
    »An meinem Vater? Nein. Er war so eine jämmerliche Figur, dass ich ihn nicht hassen konnte. Er ist nie drüber weggekommen, dass meine Mutter uns verlassen hat. Er hat immer gedacht, sie kommt irgendwann zurück. Er hat sich darauf vorbereitet. Wenn er besoffen war, hat er allein auf dem Sofa gesessen und mit ihr geredet und gelacht, und dann hat er angefangen zu weinen. Sie hat ihm das Herz gebrochen. Ich hab Männer gequält, Philip. Ich habe Männer gesehen, die um den Tod gebettelt haben. Aber ich glaube nicht, dass ich schon mal so was Jämmerliches gehört habe wie meinen Vater, als er um meine Mutter geweint hat.«
    Auf dem Fußboden stöhnte Joshua Ford. Sie beachteten ihn nicht.
    »Was macht dein Vater jetzt?«, fragte McGuane.
    »Er lebt in Cheyenne, in Wyoming. Ist inzwischen trocken. Hat ’ne nette Frau gefunden. Jetzt ist er ein religiöser Spinner. Hat den Alkohol gegen Gott eingetauscht – eine Sucht gegen die nächste.«
    »Habt ihr noch Kontakt?«
    Der Ghost sagte leise: »Nein.«
    Sie tranken schweigend.

    »Und du, Philip? Du warst nicht arm. Deine Eltern haben

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