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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Untertauchen erschweren.«
    Er betrachtete weiter seine Hände.
    »So war’s doch, oder?«
    Pistillo wandte den Blick langsam zu mir. »Ihr Bruder hatte eine Abmachung mit uns«, sagte er kalt. »Durch seine Flucht hat er sie gebrochen.«
    »Und deshalb durften Sie lügen?«
    »Deshalb durften wir ihn mit allen Mitteln verfolgen.«
    Ich zitterte regelrecht. »Und seine Familie vor die Hunde gehen lassen?«
    »Das können Sie mir nicht anhängen.«
    »Wissen Sie, was Sie uns angetan haben?«
    »Wissen Sie was, Will? Das ist mir scheißegal. Sie glauben, Sie hätten gelitten? Sehen Sie meiner Schwester in die Augen. Gucken Sie sich ihre Söhne an.«
    »Deshalb ist es noch lange nicht richtig …«
    Er schlug auf den Tisch. »Erzählen Sie mir nicht, was richtig und was falsch ist. Meine Schwester war ein unschuldiges Opfer.«
    »Meine Mutter auch.«
    »Nein!« Wieder schlug er auf den Tisch, diesmal mit der Faust, und zeigte mit dem Finger auf mich. »Da gibt’s einen Riesenunterschied, das dürfen Sie ruhig mal kapieren. Vic war ein Cop und wurde ermordet. Er hatte keine Wahl. Er konnte nicht verhindern, dass seine Familie leidet. Ihr Bruder dagegen hat beschlossen, abzuhauen. Das war seine Entscheidung. Wenn Ihre Familie darunter gelitten hat, ist das seine Schuld.«
    »Aber er ist Ihretwegen geflohen«, sagte ich. »Jemand wollte ihn umbringen – und Sie haben noch eins drauf gesetzt und
ihm weisgemacht, dass er wegen Mordes gesucht wird. Sie haben ihn dazu gezwungen. Sie haben ihn in den Untergrund getrieben.«
    »Das war seine Entscheidung, nicht meine.«
    »Sie wollten Ihrer Familie helfen und haben meine dafür geopfert.«
    Pistillo verlor die Fassung und stieß sein Glas um. Der Eistee spritzte mir aufs Hemd. Das Glas fiel zu Boden und zerbrach. Er stand auf und sah auf mich herab. »Vergleichen Sie Ihre Familie nicht mit dem, was meine Schwester durchgemacht hat. Wagen Sie das ja nicht.«
    Ich hielt seinem Blick stand. Es wäre zwecklos gewesen, mit ihm zu streiten – und ich wusste immer noch nicht, ob er die Wahrheit sagte oder sie für seine eigenen Zwecke zurechtbog. Auf jeden Fall wollte ich mehr herausfinden. Es hatte keinen Sinn, ihn gegen mich aufzubringen. Diese Geschichte ging noch weiter. Er war noch nicht fertig. Es gab noch zu viele offene Fragen.
    Die Tür wurde geöffnet. Claudia Fisher steckte den Kopf herein, um zu sehen, was los war. Pistillo hob die Hand und bedeutete ihr, dass alles in Ordnung sei. Er setzte sich wieder. Fisher wartete einen Moment und ließ uns dann allein.
    Pistillo atmete immer noch schwer.
    »Und was war dann?«, fragte ich ihn.
    Er sah auf. »Das können Sie sich nicht denken?«
    »Nein.«
    »Eigentlich bloß ein Glückstreffer. Einer unserer Agenten hat in Stockholm Urlaub gemacht. Reiner Zufall.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Unser Agent«, sagte er. »Er hat Ihren Bruder auf der Straße gesehen.«
    Ich blinzelte. »Moment mal. Wann war das?«

    Pistillo rechnete kurz nach. »Vor vier Monaten.«
    Ich war immer noch verwirrt. »Und Ken ist entkommen?«
    »Ach was. Der Agent ist kein Risiko eingegangen. Er hat ihn gleich an Ort und Stelle festgesetzt.«
    Pistillo faltete die Hände und beugte sich zu mir. »Wir haben ihn geschnappt«, sagte er. Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. »Wir haben Ihren Bruder erwischt und zurückgebracht.«

45
    Philip McGuane schenkte Kognak ein.
    Die Leiche von Cromwell, dem jungen Anwalt, war beseitigt. Joshua Ford lag wie ein Bärenfell vor dem Kamin. Er lebte und war sogar bei Bewusstsein, doch er rührte sich nicht.
    McGuane reichte dem Ghost einen Schwenker. Die beiden Männer nahmen nebeneinander Platz. McGuane trank einen großen Schluck. Der Ghost umfasste sein Glas mit beiden Händen und lächelte.
    »Was?«, fragte McGuane.
    »Ausgezeichneter Kognak.«
    »Ja.«
    Der Ghost starrte seinen Drink an. »Ich musste nur gerade dran denken, wie wir immer im Wald hinter Riker Hill abgehangen und das billigste Bier getrunken haben, das wir kriegen konnten. Weißt du noch, Philip?«
    »Schlitz und Old Milwaukee«, sagte McGuane.
    »Genau.«
    »Ken hatte einen Freund bei Economy Wine and Liquor. Der wollte nie einen Ausweis sehen.«
    »Schöne Zeiten«, sagte der Ghost.

    »Das hier –«, McGuane hob sein Glas, »… ist noch besser.«
    »Findest du?« Der Ghost nippte. Er schloss die Augen und schluckte. »Kennst du die Philosophie, dass sich die Welt mit jeder Entscheidung, die man trifft, in Paralleluniversen

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