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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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sich an der Jagd auf McGuane zu beteiligen. Er setzte sein Leben aufs Spiel. Er tauchte unter. Er trug ein Aufzeichnungsgerät. Irgendwie hatten McGuane und der Ghost davon Wind bekommen. Ken verschwand. Er kam nach Hause, obwohl mir nicht ganz klar ist, was er da wollte. Ich verstand auch nicht recht, was Julie mit der ganzen Sache zu tun hatte. Nach allem, was man hörte, war sie über ein Jahr lang nicht zu Hause
gewesen. War ihre Rückkehr ein Zufall? War sie Ken gefolgt? Vielleicht aus Liebe? Oder weil er sie mit Drogen versorgte? War der Ghost ihr gefolgt, weil er wusste, dass sie ihn früher oder später zu Ken führen würde?
    Das wusste ich alles nicht. Zumindest noch nicht.
    Jedenfalls hatte der Ghost sie aufgespürt, wahrscheinlich in flagranti. Er war über sie hergefallen. Ken wurde verletzt, konnte aber entkommen. Julie hatte weniger Glück. Der Ghost wollte Ken unter Druck setzen, also hängte er ihm den Mord an. Ken geriet in Panik, dass man ihn umbringen könnte oder noch Schlimmeres, und flüchtete. Er nahm seine feste Freundin Sheila Rogers und ihr Baby Carly mit. Die drei verschwanden.
    Sogar unter meiner Schlafbrille merkte ich, dass es dunkler wurde. Es dröhnte. Wir fuhren durch einen Tunnel. Vielleicht durch den Midtown, aber ich vermutete, dass wir im Lincoln waren und Richtung New Jersey fuhren. Jetzt dachte ich an Pistillo und seine Rolle in der ganzen Sache. Für ihn ging es um den alten »Der Zweck heiligt die Mittel«-Streit. Unter anderen Umständen hätte er vielleicht größeren Wert auf die Mittel gelegt, dieser Fall jedoch lag ihm persönlich am Herzen. Sein Standpunkt war leicht einzusehen. Ken war ein Krimineller. Er hatte eine Abmachung getroffen und – ganz gleich, aus welchen Gründen – dagegen verstoßen, indem er durchgebrannt war. Die Jagd auf ihn war eröffnet. Man erklärt ihn zum flüchtigen Schwerverbrecher und lässt die ganze Welt im Schlamm wühlen und nach dem Mann suchen.
    Jahre vergehen. Ken und Sheila bleiben zusammen. Ihre Tochter Carly wächst heran. Dann wird Ken eines Tages verhaftet. Er wird in die Staaten zurückgebracht und ist vermutlich überzeugt, dass man ihn für den Mord an Julie Miller ins Gefängnis stecken wird. Aber die Behörden wussten die ganze Zeit
Bescheid. Sie wollen ihn gar nicht deswegen. Sie wollen den Kopf des Drachen. McGuane. Und Ken kann immer noch helfen, ihn ans Messer zu liefern.
    Also treffen sie ein Abkommen. Ken versteckt sich in New Mexico. Als sie glauben, dass keine Gefahr mehr besteht, kommen Sheila und Carly aus Schweden nach. Aber McGuane ist ein mächtiger Feind. Er findet heraus, wo sie stecken. Er schickt zwei Männer. Ken ist nicht zu Hause, doch sie foltern Sheila, um herauszukriegen, wo er ist. Ken überrascht sie dabei, tötet sie, packt seine verletzte Freundin und seine Tochter ins Auto und ist wieder auf der Flucht. Er warnt Nora, die unter Sheilas Namen lebt, dass die Behörden und McGuane nach ihr suchen werden. Auch sie muss flüchten.
    Das war so ziemlich alles, was ich wusste.
    Der Ford Taurus hielt an. Ich hörte, wie der Fahrer den Motor abstellte. Schluss mit der Passivität, dachte ich. Wenn ich die Hoffnung nicht gleich aufgeben wollte, mit dem Leben davonzukommen, musste ich entschlossener auftreten. Ich nahm die Schlafbrille ab und sah auf die Uhr. Wir waren eine Stunde unterwegs gewesen. Dann setzte ich mich auf.
    Wir standen mitten im dichten Wald. Der Boden war von Kiefernnadeln bedeckt. Die Bäume grünten üppig. Es gab eine Art Hochsitz, eine kleine Aluminiumkonstruktion auf einer etwa drei Meter hohen Plattform. Er wirkte wie ein überdimensionierter, rein funktional gestalteter Geräteschuppen. Heruntergekommen und Industriedesign zugleich. Rost nagte an Tür und Kanten.
    Der Fahrer drehte sich um. »Aussteigen.«
    Ich gehorchte. Ich sah weiter zu der Metallkonstruktion hinüber. Die Tür öffnete sich und der Ghost trat heraus. Ganz in Schwarz, als wäre er auf dem Weg zu einer Dichterlesung im Village. Er winkte mir zu.

    »Hallo, Will.«
    »Wo ist sie?«, fragte ich.
    »Wer?«
    »Lass den Scheiß.«
    Der Ghost verschränkte die Arme. »Hach«, sagte er, »wir sind aber ein tapferer kleiner Soldat.«
    »Wo ist sie?«
    »Meinst du Katy Miller?«
    »Das weißt du ganz genau.«
    Der Ghost nickte. Er hielt etwas in der Hand. Ein Stück Seil. Vielleicht ein Lasso. Ich erstarrte. »Sie sieht ihrer Schwester so ungeheuer ähnlich, findest du nicht? Wie hätte ich da widerstehen können? Ach,

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