Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
Vom Netzwerk:
natürlich in Rage. Wir würden uns um diesen Mr Cray Spring aus Cramden, Missouri, kümmern müssen. Wie, wusste ich nicht. Noch nicht. Aber ich würde dafür sorgen, dass Nora nicht den Rest ihres Lebens in Angst verbrachte. Das kam nicht in Frage.
    Nora erzählte mir von meinem Bruder, dass er ein Konto in der Schweiz habe; er wandere viel und suche draußen in der freien Natur offenbar seinen Frieden, der ihm aber doch immer wieder entglitt. Nora erzählte auch von Sheila Rogers, dem gebrochenen Vamp, über den ich so viel erfahren hatte. Sie hatte ganz für die langwierige Flucht und ihre Tochter gelebt. Aber vor allem erzählte Nora mir von meiner Nichte Carly, und dabei strahlte sie übers ganze Gesicht. Carly rannte gern mit geschlossenen Augen Abhänge hinunter. Sie war eine Leseratte und schlug gerne Rad. Sie hatte ein unglaublich ansteckendes Lachen. Anfangs war sie einsam und Nora gegenüber sehr zurückhaltend gewesen – ihre Eltern hatten sie aus nahe liegenden Gründen nicht viel unter Menschen gelassen –, doch Nora hatte geduldig daran gearbeitet und diese Hürde schließlich überwunden. Das Kind im Stich zu lassen (sie sprach von im Stich lassen, ich fand den Ausdruck zu hart), Carly die einzige Freundin zu nehmen, die sie haben durfte, war Nora am schwersten gefallen.
    Katy Miller blieb auf Distanz. Sie war weggefahren – sie hatte mir nicht gesagt, wohin, und ich hatte auch nicht nachgefragt  –, aber sie rief fast täglich an. Jetzt kannte sie zwar die Wahrheit, doch das half ihr letztendlich wohl nicht viel. Solange
der Ghost noch frei herumlief, war das Ganze für sie nicht vorbei. Solange der Ghost noch frei herumlief, schauten wir uns beide häufiger um, als gut für uns war.
    Wir lebten wohl alle in Angst.
    Für mich zeichnete sich allerdings ein Ende ab. Ich musste meinen Bruder einfach sehen. Vielleicht sogar noch dringender als vorher. Ich dachte an seine einsamen Jahre. An seine langen Wanderungen. Das passte nicht zu Ken. So konnte Ken nicht glücklich werden. Ken war offenherzig. Ken verbarg sich nicht im Schatten.
    Ich wollte meinen Bruder aus denselben Gründen wie immer wiedersehen. Ich wollte mit ihm zu einem Basketballspiel. Ich wollte eins gegen eins gegen ihn spielen. Ich wollte bis spät in die Nacht aufbleiben und mit ihm zusammen alte Filme ansehen. Aber natürlich waren noch ein paar neue Gründe hinzugekommen.
    Wie schon erwähnt hielten Katy und ich unser Gespräch mit Ken geheim. So konnte ich die Kommunikation mit Ken aufrechterhalten. Schließlich arrangierten wir einen Wechsel der Newsgroup. Ich schrieb Ken, dass er sich nicht vor dem Tod fürchten solle, und hoffte, dass er den Wink verstand. Und das tat er. Der Tipp bezog sich auch wieder auf unsere Kindheit. Den Tod nicht fürchten, wie in Kens Lieblingssong Don’t Fear the Reaper von Blue Öyster Cult. Wir fanden eine Newsgroup, in der die Teilnehmer Informationen über die alte Heavy-Metal-Band austauschten. Dort war nicht viel los, aber wir konnten Zeiten vereinbaren, zu denen wir via IM Kontakt aufnahmen.
    Ken war immer noch auf der Hut, aber auch er wollte einen Schlussstrich unter das Ganze ziehen. Schließlich hatte ich Dad und Melissa, und die letzten elf Jahre war auch unsere Mutter noch da gewesen. Ken fehlte mir entsetzlich, doch
ich konnte mir vorstellen, dass wir ihm noch mehr gefehlt haben.
    Es erforderte jedenfalls einiges an Vorbereitungen, aber schließlich organisierten Ken und ich ein Familientreffen.

    Als ich zwölf war und Ken vierzehn, waren wir in einem Ferienlager namens Camp Millstone in Marshfield, Massachusetts, gewesen. Das Ferienlager warb mit seiner Lage »auf Cape Cod!«, was, wenn es wahr gewesen wäre, bedeutet hätte, dass Cape Cod den halben Bundesstaat einnahm. Die Hütten waren nach Universitäten benannt. Ken war in Yale untergebracht, ich in Duke. Wir waren hellauf begeistert von diesem Sommer. Wir spielten Basketball und Softball und führten Krieg Blau gegen Grau. Wir aßen scheußlichen Fraß und wurden mit dem hauseigenen, als »Käfermus« bezeichnetem Stärkungsmittel bei Kräften gehalten. Unsere Betreuer waren ebenso lustig wie sadistisch. Mit dem, was ich heute weiß, würde ich nie im Leben ein eigenes Kind in ein Ferienlager schicken. Aber damals war ich begeistert.
    Ist das nachvollziehbar?
    Ich hatte Squares vor vier Jahren Camp Millstone gezeigt. Das Ferienlager wurde gerade zwangsversteigert. Squares kaufte das Gelände und machte ein vornehmes

Weitere Kostenlose Bücher