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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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dem Mittleren Westen. Raus aus dem Bus, rein ins pralle Leben.«
    Ich hatte das zu oft gesehen, als dass es mich schockiert hätte. Aber hier ging es nicht um irgendeine Fremde oder ein Mädchen von der Straße, das am Ende war. Es ging um die faszinierendste Frau, die je in mein Leben getreten war.
    »Ist lange her«, sagte Squares, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Als sie sie das erste Mal verhaftet haben, war sie erst sechzehn.«
    »Prostitution?«
    Er nickte. »Und aus demselben Grund in den nächsten achtzehn Monaten auch noch dreimal. Laut Vorstrafenregister hat sie für einen Zuhälter namens Louis Castman gearbeitet. Beim letzten Mal hatte sie fünfzig Gramm Stoff und ein Messer dabei. Sie wollten sie wegen Drogenhandel und bewaffneten Raubüberfall verknacken, aber die Anklage wurde fallen gelassen.«
    Ich sah aus dem Fenster. Die Nacht war grau und verwaschen. Man sieht so viel Übles auf diesen Straßen. Wir arbeiten hart daran, ein bisschen Abhilfe zu schaffen. Ich weiß, dass wir Erfolg haben. Ich weiß, dass wir viele aus diesem Leben herausholen. Aber ich weiß auch, dass sie das, was hier geschieht, ihr Leben in dieser pulsierenden Jauchegrube der Nacht, nie vergessen können. Es ist nun mal passiert. Sie können versuchen, diese Erlebnisse zu verarbeiten. Sie können weiterleben. Doch der Schaden ist nicht mehr zu beheben.
    »Wovor hast du Angst?«, fragte ich ihn.
    »Kein Wort darüber.«
    »Du liebst sie. Sie liebt dich.«
    »Und sie ist schwarz.«
    Ich sah ihn an und wartete. Ich wusste, dass er damit nicht das Naheliegende meinte. Er war nicht rassistisch. Aber es ist, wie ich es gesagt habe. Der Schaden ist irreparabel. Ich hatte die Spannung zwischen ihnen gesehen. Sie war zwar längst nicht so stark wie ihre Liebe, aber sie war doch da.
    »Du liebst sie«, wiederholte ich.
    Er fuhr weiter.
    »Vielleicht war das am Anfang ein zusätzlicher Reiz«, sagte ich. »Aber es geht nicht mehr um deine Läuterung. Jetzt liebst du sie.«
    »Will?«
    »Ja.«
    »Schluss.«
    Plötzlich riss Squares den Bus nach rechts. Die Scheinwerferkegel erfassten die Kinder der Nacht. Sie stoben nicht wie Ratten auseinander, sondern starrten uns vielmehr stumm an und zuckten kaum mit der Wimper. Squares kniff die Augen zusammen, hatte seine Beute ausgemacht und hielt an.
    Schweigend stiegen wir aus. Die Kids musterten uns mit leeren
Blicken. Ich erinnerte mich an Fantines Zeile aus Les Misérables  – dem Musical, ich weiß nicht, ob sie auch im Buch steht: »Spürst du’s nicht? Du legst dich auf ein kaltes totes Tier.«
    Vor uns standen Mädchen und Jungen, Transvestiten und Transsexuelle. Ich habe hier draußen jede erdenkliche Perversion gesehen, außer – und hier wird man mir sicher Sexismus vorwerfen – Kundinnen. Ich will nicht behaupten, dass Frauen sich keinen Sex kaufen. Ganz bestimmt nicht. Aber offenbar streifen sie dazu nicht durch die Straßen. Die Kunden auf dem Straßenstrich, die Freier, sind immer Männer. Sie suchen nach drallen und nach hageren Frauen, nach jungen, alten, normalen und zum Teil nach unglaublich abartigen Frauen, nach großen Männern, nach kleinen Jungs, Tieren und Gott weiß was. Einige Männer haben sogar Frauen dabei, schleppen ihre Freundin oder Ehefrau mit ins Getümmel. Doch die Kunden auf diesen Nebenwegen sind alle Männer.
    Trotz all des Geredes über den unglaublichen Kick, den man sich hier abholen kann, kommen die meisten dieser Männer doch nur, um einen gewissen … Akt zu kaufen. Er soll an ihnen vollzogen werden und kann leicht in einem parkenden Auto stattfinden. Das ist eigentlich für beide von Vorteil. Erstens ist es bequem. Man spart Geld und Zeit für die Zimmersuche. Die Sorge um Geschlechtskrankheiten entfällt zwar nicht ganz, ist aber doch gemindert. Schwangerschaft ist kein Thema. Man braucht sich nicht einmal ganz auszuziehen …
    Ich erspare Ihnen die weiteren Einzelheiten.
    Die Veteranen der Straße – damit meine ich alle über achtzehn  – begrüßten Squares herzlich. Sie kannten ihn. Sie mochten ihn. Meine Anwesenheit machte sie etwas argwöhnisch. Es war eine ganze Weile her, seit ich das letzte Mal an der Front gewesen war. Trotzdem erkannten mich einige der alten Hasen, und irgendwie freute ich mich, sie zu sehen.

    Squares ging auf eine Prostituierte namens Candi zu, aber ich war mir ziemlich sicher, dass das nicht ihr richtiger Name war. So leicht machte man mir nichts vor. Sie deutete mit dem Kinn auf zwei zitternde Mädchen

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