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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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eingeschaltet. Es war taghell. Ich musste meine Augen mit der Hand abschirmen. Etwas piepte, und als ich genauer hinsah, bemerkte ich irgendein medizinisches Gerät neben dem Bett. Vorher jedoch fiel mein Blick auf etwas anderes.
    Die Wände.
    Die fielen mir als Erstes ins Auge. Die Wände waren mit Kork verkleidet – ich sah das Braun durchschimmern –, aber vor allem waren sie mit Fotos gepflastert. Hunderte von Fotos.
    Manche in Postergröße, manche im klassischen 9×13-Format, die meisten irgendwo dazwischen – alle mit Reißzwecken am Kork befestigt.
    Und alle Fotos zeigten Tanya.
    Das nahm ich zumindest an. Die Bilder waren vor der Verunstaltung entstanden. Und ich hatte Recht gehabt. Tanya war einmal schön gewesen. Die Fotos, größtenteils Profi-Aufnahmen, die offenbar aus der Präsentiermappe eines Models stammten, waren unübersehbar. Ich blickte nach oben. Dort hingen weitere Fotos: ein höllisches Deckenfresko.
    »Helfen Sie mir. Bitte.«
    Die dünne Stimme kam aus dem Bett. Squares und ich traten näher. Tanya folgte uns und räusperte sich. Wir drehten uns um. Im grellen Licht schienen ihre Narben fast ein Eigenleben zu
entwickeln, wanden sich wie Würmer über ihr Gesicht. Die Nase war nicht nur eingedrückt, sondern auch schief. Die alten Fotos schienen zu strahlen, umgaben sie mit einer perversen Vorher-nachher-Gloriole.
    Der Mann im Bett stöhnte.
    Wir warteten. Tanya sah erst mich, dann Squares mit ihrem gesunden Auge an. Ihr Blick schien uns aufzufordern, nicht zu vergessen, ihren Anblick in unser Hirn zu ätzen, so dass wir immer daran dachten, was sie einmal gewesen war und was er ihr angetan hatte.
    »Ein Rasiermesser«, sagte sie. »Ein rostiges. Er hat über eine Stunde gebraucht. Und er hat mir nicht nur das Gesicht zerschnitten.«
    Ohne ein weiteres Wort verließ Tanya das Zimmer. Sie schloss die Tür hinter sich.
    Wir schwiegen kurz. Dann fragte Squares: »Sind Sie Louis Castman?«
    »Sind Sie von der Polizei?«
    »Sind Sie Castman?«
    »Ja. Und ich hab’s getan. Herrgott, ich gestehe alles, was Sie wollen. Ich war’s. Aber holen Sie mich hier raus. Um Himmels willen.«
    »Wir sind keine Cops«, sagte Squares.
    Castman lag flach auf dem Rücken. Eine Art Schlauch kam aus seiner Brust. Die Maschine piepte und ein Gerät hob und senkte sich wie ein Akkordeon. Er war weiß, frisch rasiert und sauber. Seine Haare waren gewaschen. Am Bett waren Gitter und Knöpfe. In der Ecke eine Bettpfanne und ein Waschbecken. Ansonsten war das Zimmer leer. Keine Kommode, kein Schrank, kein Fernseher, kein Radio, keine Uhr, keine Bücher, keine Zeitungen und keine Zeitschriften. Die Jalousie war geschlossen.

    Ich verspürte ein unangenehmes Gefühl im Magen.
    »Was ist mit Ihnen?«, fragte ich.
    Castmans Augen – nur seine Augen – wandten sich mir zu. »Ich bin querschnittsgelähmt«, sagte er. »Tetraplegie. Vom Hals abwärts …«, er brach ab und schloss die Augen, »… nichts.«
    Ich wusste nicht, wie ich fortfahren sollte. Squares offenbar auch nicht.
    »Bitte«, sagte Castman. »Sie müssen mich hier rausholen, bevor …«
    »Bevor was?«
    Er schloss die Augen. Dann öffnete er sie wieder. »Vor, ich weiß nicht, so etwa drei, vier Jahren hat jemand auf mich geschossen. Ich kann’s nicht genau sagen. Ich weiß nicht, welchen Tag oder welchen Monat wir haben, noch nicht mal das Jahr. Das Licht ist immer an, daher weiß ich nicht, ob Tag oder Nacht ist. Ich weiß auch nicht, wer Präsident ist.« Er schluckte schwer. »Sie ist verrückt, Mann. Ich hab um Hilfe geschrien, aber es nützt nichts. Sie hat alles mit Kork isolieren lassen. Ich lieg hier die ganze Zeit und starre die Wände an.«
    Ich bekam kein Wort heraus. Squares hingegen wirkte unbeeindruckt. »Ihre Lebensgeschichte interessiert uns nicht«, sagte er. »Wir wollten was über eins von Ihren Mädchen wissen.«
    »Da sind Sie hier falsch«, sagte er. »Ich war schon lange nicht mehr auf der Straße.«
    »Macht nichts. Sie geht auch schon lange nicht mehr auf den Strich.«
    »Wer?«
    »Sheila Rogers.«
    »Ah.« Als er den Namen hörte, lächelte Castman. »Was wollen Sie wissen?«
    »Alles.«
    »Und wenn ich Ihnen nichts sage?«

    Squares stieß mich gegen die Schulter. »Gehen wir«, sagte er.
    In Castmans Stimme lag absolute Panik. »Was?«
    Squares sah auf ihn hinab. »Wenn Sie nicht mit uns zusammenarbeiten wollen, ist das in Ordnung, Mr Castman. Dann werden wir nicht weiter stören.«
    »Warten Sie!«, schrie er. »Okay,

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