Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Ton war leicht ungehalten.
In dem mit Marmor verkleideten Foyer erhaschte Beth einen Blick auf Ian, und flammende Röte stieg ihr in die Wangen. Isabella entging dieser Blick nicht, und erfreut rief sie: »Du hast Ian geküsst, nicht wahr? Chérie, wie wundervoll!«
Beth gab keine Antwort. Sie hatte Angst zu verglühen, wenn sie auch nur einen Ton sagte. Bin das wirklich ich? Ich, Beth Ackerley? In Satin gekleidet, mit Diamanten behängt und in eine Affäre mit dem verruchtesten Mann in ganz Paris verstrickt?
Unweigerlich dachte sie an ihre Kindheit, an den Hunger, an schmutzige Gassen und magere Kinder, an die betrunkenen Männer und an die verzweifelten und erschöpften Frauen. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass ihr Leben einmal solch eine dramatische Wendung nehmen würde.
Ian blieb stehen, um sich mit einem Herrn zu unterhalten. Kurz darauf wandten sie sich dem im Dunkeln liegenden Korridor zu und gingen davon. Selbstverständlich würde Ian den Ballsaal nicht betreten. Er hasste Menschenansammlungen.
Beth versuchte, ihre Enttäuschung herunterzuschlucken. Sie konnte doch weiß Gott nicht erwarten, dass er den ganzen Abend um sie herumscharwenzelte! Oder bedrückte es sie, dass er sein Herz nicht verschenken konnte? Was war sie nur für eine Närrin!
Sie bemühte sich, fröhlich mit Isabella und ihren Freunden zu plaudern, doch ihr Blick suchte immer wieder Ian, der jedoch verschwunden blieb.
Als Beth und Isabella den Ball sehr viel später verließen, war dicker Nebel aufgezogen. Auf dem Weg zu Isabellas Kutsche, die vor dem Haus bereitstand, entdeckte Beth im Schatten zwischen zwei Straßenlaternen einen Mann. Als er ihren Blick bemerkte, zog er sich schnell zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde fiel Lichtschein auf sein Gesicht, und Beth konnte erkennen, dass der Mann einen dichten Schnurrbart trug.
»Mrs Ackerley.«
Beth machte ihren Morgenspaziergang durch den Jardin des Tuileries und fuhr jetzt abrupt herum, als sie ihren Namen hörte. Die Ruinen des ausgebrannten Palais des Tuileries ragten düster auf und gemahnten an die Gewalt während der Französischen Revolution, die auch in diesem schönen Park gewütet hatte.
Neben ihr trottete eine mürrische Katie, denn Beth hatte trotz des späten Abends auf dem frühmorgendlichen Spaziergang bestanden. Isabella schlief noch tief und fest, doch Beth war unruhig und voller Tatendrang.
» Vornehme Damen bleiben bis mittags im Bett«, knurrte Katie. »Ich dachte, wir sind jetzt auch vornehm.«
»Sei still, Katie«, sagte Beth. Sie schickte das Mädchen ein gutes Stück weit vor und wartete, bis der schwarz gekleidete Mann zu ihr aufgeschlossen hatte.
»Nun?«, fragte sie, als Katie außer Hörweite war. »Ich weiß, dass Sie mir folgen, Inspektor. Bitte nennen Sie mir den Grund.«
»Ich tue nur meine Pflicht.«
Der Wind trug den moderigen Geruch des Wassers und das Glockengeläut von Notre Dame zu ihnen herüber.
»Weiß man in Scotland Yard, dass Sie in Paris sind?«, fragte sie. »Und Ihre Nase in Mordfälle stecken, die Sie nichts angehen?«
»Ich bin als Privatmann in Paris, ich habe mir freigenommen.«
»Dann werden Sie also keine Verhaftungen durchführen?«
Fellows schüttelte den Kopf, die haselnussbraunen Augen blickten entschlossen. »Sollte ich jedoch zu der Überzeugung kommen, dass eine Verhaftung vonnöten ist, werde ich mich an die Sûreté wenden und die hiesigen Kollegen nach Kräften unterstützen.«
Beth sah ihn kalt an. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich meine Freunde nicht ausspioniere.«
»Deswegen bin ich nicht gekommen.«
»Weil Sie wissen, dass es zwecklos ist?«
»Weil mir klar geworden ist, dass Sie Integrität besitzen, Mrs Ackerley. Was bei Ihrer Herkunft überrascht.«
»Auf meine Herkunft haben Sie mich schon zur Genüge hingewiesen. Doch vergessen Sie nicht, dass meine Mutter ihrer unglücklichen Ehe zum Trotz aus gutem Hause stammte.«
»Ja, ich bin bei meinen Nachforschungen auf einen Gutsherrn namens Hilton Yardley aus Surrey gestoßen. Ein ehrbarer englischer Gentleman. Er ist aus Gram gestorben, als seine Tochter einen Franzmann von fragwürdiger Herkunft ehelichte.«
»Nein, er ist vier Jahre später an einem Leberleiden verschieden«, sagte Beth. »Zweifellos werden Sie jetzt behaupten, das Leiden sei durch den Schock der unglückseligen Verbindung herbeigeführt worden.«
»Zweifellos«, erwiderte Fellows trocken.
Beth wandte sich ab und entfernte sich raschen Schrittes, doch
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