Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
erhob sich, strich sich das Haar zurück und tappte zu ihrem Schrank. Sie nahm ein kleines, in Tücher gehülltes Bild hervor. Ehrfürchtig legte sie es aufs Bett und wickelte es aus.
Beth hielt den Atem an. Auf dem Bild war Isabella zu sehen, die auf der Kante eines zerwühlten Bettes saß. Das Laken war ihr von der Schulter gerutscht und entblößte eine wunderschön geformte Brust, zwischen ihren Schenkeln lugte Schamhaar hervor. Isabella hatte den Blick vom Betrachter abgewandt, ihr rotes Haar war im Nacken zu einem losen Knoten gewunden.
Obgleich das Bild eine Frau darstellte, die sich gerade aus dem Bett ihres Geliebten erhob, wirkte es in keiner Weise anzüglich. Die gedämpften Farben schufen eine Atmosphäre kühler Eleganz, Isabellas rotes Haar und ein Zweig leuchtend gelber Rosen bildeten die einzigen Farbakzente.
Es war das Bildnis einer Geliebten, gemalt von einem Mann, der in seiner Angetrauten gleichzeitig seine Geliebte sah. Zudem war es, soweit Beth sich ein Urteil erlauben konnte, ein außergewöhnlich gelungenes Bild. Licht und Schatten, Farben und Komposition – alles auf einem winzigen Stück Leinwand. In der Ecke hatte sich der Maler schwungvoll verewigt: Mac MacKenzie .
»Verstehst du jetzt?«, fragte Isabella leise. »Er ist ein Genie.«
»Es ist wunderschön.«
»Mac hat es am Morgen nach unserer Hochzeit gemalt. Den Entwurf hat er im Schlafzimmer gezeichnet und dann im Atelier auf Leinwand gebracht. Pfusch hat er es genannt, doch er konnte nicht anders.«
»Du hast recht, Isabella. Er hat dich wirklich geliebt.«
Stumme Tränen strömten über Isabellas Wangen. »Du hättest mich auf meinem Debütanten-Ball erleben sollen. Ich war eine alberne Gans und Mac die Dekadenz schlechthin. Er war nicht einmal eingeladen, sondern kam nur dorthin, weil er eine Wette verloren hatte. Dann hat er mich zu einem Tanz überredet, indem er sagte, ich würde mich ja doch nicht trauen. Er hat mich so lange geneckt, bis ich ihm fast an die Gurgel gegangen wäre. Doch dieser verflixte Mistkerl hat es genau gewusst. Wie einen Fisch hat er mich geködert, er musste mich nur noch mit seinem Netz einfangen.« Seufzend fuhr sie fort: »Das hat er dann auch getan. Ich habe ihn noch in jener Nacht geheiratet.«
Abermals betrachtete Beth das Gemälde. Jux und Tollerei mochten am Anfang des Abends gestanden haben, doch geendet hatte er anders. Die sanften Farben wirkten geradezu zärtlich. Das Werk eines Verliebten.
»Ich danke dir, dass du es mir gezeigt hast«, sagte Beth.
Isabella lächelte. »Du musst wissen, worauf du dich bei den MacKenzies einlässt. Ich freue mich, dass sich Ian so für dich interessiert, aber vielleicht tue ich dir damit auch keinen Gefallen. Die Liebe zu einem MacKenzie kann einen zur Verzweiflung treiben. Sei nur vorsichtig, Chérie.«
Mit pochendem Herzen starrte Beth auf die wunderschöne Frau, die Mac MacKenzie mit so viel Liebe gemalt hatte. Sie wusste, dass jede Warnung zu spät kam.
Nach ihrem Tête-à-tête mit Ian sah und hörte Beth eine Woche lang nichts von ihm. Auch auf eine Nachricht wartete sie vergeblich. Jedes Mal, wenn unten die Glocke ertönte oder einer der Dienstboten an ihre Zimmertür klopfte, schrak sie unwillkürlich zusammen. Sie versuchte, nicht allzu enttäuscht zu sein, während die Tage ohne ein Wort von ihm vergingen.
Vielleicht hatte er geschäftlich zu tun und kam deshalb nicht. Isabella hatte ihr anvertraut, dass Ian politische Korrespondenzen und Verträge für Hart las und sich einprägte und ihn auf besondere Konditionen aufmerksam machte.
Ian verfügte auch über große mathematische Begabung, deshalb überwachte er die Geldgeschäfte der Brüder. Wie ein Falschspieler, der jede Karte auf dem Tisch kennt, beobachtete Ian die Börse mit Argusaugen. Seit seiner Entlassung aus der Nervenheilanstalt hatte Ian das ohnehin schon beträchtliche Vermögen der Familie noch verdoppelt.
»Es würde mich nicht überraschen, wenn Hart ihn aus diesem Grund aus der Anstalt geholt hat«, hatte Isabella einmal gesagt. »Vielleicht bin ich ungerecht, aber Hart macht sich Ians erstaunliche Intelligenz sehr zunutze. Kein Wunder, dass Ian immer Kopfschmerzen bekommt.«
Beth fand diese Vorstellung empörend, aber vielleicht arbeitete Ian auch gerne für seinen Bruder, obwohl er nie dergleichen erwähnt hatte. Zumindest aber würde es seine Abwesenheit erklären.
Am Samstag nahm Isabella Beth zu einem dieser spektakulären Bälle mit, der diesmal im feudalen
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