Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Auge. Die Frau auf diesem Gemälde war wie die Säule und das Bad nur Staffage, ein schöner Körper, aber mehr auch nicht.
Wohingegen die Frau auf Isabellas Bild wirklich Isabella war. Mac hatte mit liebevollen Strichen seine Frau skizziert, jeden Schatten sorgsam ausgemalt. Die Badende auf diesem Bild war austauschbar, jede hätte dafür Modell stehen können, doch für ihr Bild hatte nur Isabella selbst die Vorlage sein können.
Beth wandte sich zu Ian um. »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht.«
Noch immer stand er reglos da. Beth öffnete ihren Beutel und nahm eine kleine Schachtel heraus.
»Mir ist es beim Einkaufen mit Isabella ins Auge gefallen. Ich möchte es dir gern schenken.«
Ian starrte unbestimmt in die Ferne, seine breiten Schultern spiegelten sich in den schmutzigen Scheiben.
Beth stellte die Schachtel aufs Fensterbrett und wandte sich ab. Wenn er nicht mir ihr reden wollte, konnte sie nichts dagegen tun.
Ian stemmte sich mit einer Hand gegen die Fensterscheibe. »Wieso sollte es deine Schuld sein?«
Beth ließ den Saum ihres Rocks fallen, den sie schon als Zeichen des Aufbruchs zusammengerafft hatte. »Wenn ich mich gestern im Park geweigert hätte, mit dem Inspektor zu sprechen, wärest du ihm nicht begegnet. Ich hätte ihn schon damals bei Isabella hinauswerfen lassen sollen, doch ich bin immer so schrecklich neugierig. Ich wollte wissen, was er zu sagen hat.«
Endlich drehte sich Ian zu ihr um. »Hör auf, mich zu schützen. Alle versuchen, mich zu schützen.«
Beth trat zu ihm. »Wie kann ich dich beschützen wollen? Ich hätte meine Nase nicht in deine Angelegenheiten stecken sollen, doch ich wollte einfach alles erfahren, was Fellows über dich zu sagen hatte. Selbst die Lügen.«
»Das sind keine Lügen. Wir waren da.«
»Dann eben Fellows’ Sicht der Dinge.«
Ian ballte die Faust. »Sag mir, was er dir erzählt hat. Alles.« Sein Blick ruhte auf ihren Lippen, während er auf eine Antwort wartete.
Sie wiederholte, was Fellows zu ihr gesagt hatte, einschließlich dessen unerwarteten Heiratsantrags. Nur die Ausführungen des Inspektors über ihren Vater behielt sie für sich, das würde sie Ian ein anderes Mal erklären.
Als Beth bei dem Heiratsantrag angelangt war, lehnte sich Ian wieder zum Fenster. »Hast du angenommen?«
»Natürlich nicht. Warum sollte ich Inspektor Fellows heiraten wollen?«
»Weil er dich andernfalls ruinieren wird.«
»Das soll er nur versuchen.« Beths Augen funkelten böse. »Ich bin kein zartes Pflänzchen, das man vor Wind und Wetter schützen muss; ganz weltfremd bin ich nicht. Dank Mrs Barrington und ihrem Vermögen stehe ich gesellschaftlich gut da, ich bin nicht mehr das Mädchen aus dem Armenhaus oder die bemitleidenswerte Pfarrerswitwe. Den Reichen lässt man viel durchgehen. Widerlich eigentlich, wenn man es recht bedenkt.«
Als sie endlich Atem schöpfte, wurde ihr bewusst, dass Ian ihr nicht gefolgt war. »Verzeih mir, manchmal rede ich ohne Punkt und Komma, besonders wenn ich erregt bin. Mrs Barrington hat mir das oft gesagt.«
»Und was hat diese Mrs Barrington in jedem Gespräch zu suchen?«
Verwundert sah Beth ihn an. Er klang allmählich wieder wie er selbst. »Ich weiß nicht. Vielleicht weil sie mich sehr beeinflusst hat. Zu allem hatte sie ihre Meinung, zu wirklich allem.«
Ian gab keine Antwort. Er nahm das Päckchen von der Fensterbank, im Nu hatten seine starken Hände das Papier entfernt. Er nahm eine flache goldene, mit Schnörkeln verzierte Anstecknadel aus der Holzschachtel.
»Für dein Revers«, sagte Beth. »Bestimmt hast du schon Dutzende davon, aber ich fand sie hübsch.«
Ian starrte darauf, als sähe er so etwas zum ersten Mal.
»Auf der Rückseite habe ich sie gravieren lassen.«
Ian drehte die Nadel um und las mit glänzenden Augen die Inschrift, über die Beth lange nachgedacht hatte.
Für Ian, in Freundschaft. B.
»Steck sie mir an«, sagte er.
Mit zitternden Fingern schob Beth die Nadel durch das Revers seines Kaschmirmantels. Einen Moment ließ Beth ihre Hand auf seiner breiten Brust ruhen.
»Verzeihst du mir?«, fragte sie.
»Nein.«
Ihr Herz schlug bis zum Hals. »Ich hätte wohl nicht so viel erwarten dürfen.«
»Es gibt nichts zu verzeihen.« Ian packte ihre Hand und drückte sie fest. »Ich dachte, du hättest Paris verlassen, nachdem du mich im Park erlebt hast.«
»Unmöglich. Dein Bruder hat mir doch noch keinen Zeichenunterricht gegeben.«
Zwischen seinen Brauen bildete sich eine
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