Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
die Arme. Er hielt mich, streichelte und küsste mein Haar, bis die Kutsche vor Isabellas Haus stehen blieb.
Ian wollte nicht mit hineinkommen, was ich verstand, wenngleich er seine Hosen inzwischen wieder geschlossen hatte. Beim Abschied schwieg er beharrlich; kein Wort davon, wann wir unser Tête-à-Tête fortsetzen würden. Noch immer ging sein Atem schnell.
Bei meiner Ankunft empfing mich Isabella ohne das geringste Anzeichen von Kopfschmerzen. Die trügerische Isabella hatte sich sogar in Schale geworfen, um einer Nachmittagsgesellschaft beizuwohnen, obwohl der Regen nicht nachgelassen hatte.
Ich verzichtete auf die Gesellschaft, denn Ian würde nicht dabei sein, und ich konnte mir schwerlich vorstellen, dass irgendetwas mit dem eben erlebten Vergnügen würde mithalten können.
Im Hotelzimmer war es heiß und stickig, obwohl das Fenster weit geöffnet war, um die sommerliche Brise hereinzulocken. Die Zimmerflucht war mit einem gasbetriebenen Deckenfächer ausgestattet, der sich hin und wieder träge anschickte, die italienische Luft durchzumengen.
»Hier ist noch einer, Eure Hoheit.«
Der spindeldürre Diener des Herzogs legte eine Zeitung auf den Papierstoß auf dem Schreibtisch. Hart überflog die Seite, die Wilfred für ihn aufgeschlagen hatte, und fand den betreffenden Artikel sofort. Das Klatschblatt zeigte ein Bild von Ian MacKenzie mit einer hübschen dunkelhaarigen Dame in einem überfüllten Theater. Hinter der Frau stand seine Schwägerin Isabella und strahlte. In Großbuchstaben und mit etlichen Ausrufezeichen versehen hieß es auf Französisch:
Eine neue Liebe für den Bruder des Herzogs? Die mysteriöse englische Erbin Mrs A – begleitet Lady I – M – und deren Schwager in eine Aufführung von »La Bonne Femme«, der jüngsten und skandalträchtigsten musikalischen Komödie in Paris. Pfui, wie unanständig, Mrs A –.
»Wer zum Teufel ist die Frau?«, brummte Hart. Er hatte noch nie von ihr gehört, geschweige denn sie gesehen.
»Lord Ian ist recht vermögend, Eure Hoheit«, sagte Wilfred mit knarzender Stimme. »Vielleicht möchte die Dame ihre Einlage verdoppeln.«
»Das ist nicht komisch, Wilfred.« Hart bog den schmalen Federhalter in der Hand so stark durch, dass er brach. Tinte spritzte über die Zeitung.
»Natürlich nicht, Eure Hoheit.«
»Verdammt, was bezweckt Isabella damit?«
»Glaubt Ihr, sie hat ihre Hand mit im Spiel?«
»Beide Hände, würde ich meinen. Verflixt und zugenäht.«
»Ist es wirklich so bedenklich?« Wilfred errötete, als Hart ihn scharf ansah. »Ich meine ja nur, Sir, wenn Ihre Ladyschaft diese Mrs Ackerley billigt und ihr in Freundschaft zugewandt ist, dann ist womöglich alles bestens? Wenn Euer Bruder gern seine Zeit mit dieser Dame verbringt … schließlich ist seine Lordschaft im heiratsfähigen Alter.«
Unter Harts Blick verstummte Wilfred augenblicklich. »Sie sind seit zehn Jahren in meinen Diensten, Wilfred. Sie kennen Ian und wissen, wozu er imstande ist.«
»Ja, Eure Hoheit.«
»Doch manches weiß Isabella nicht. Auch Sie wissen nicht alles.«
»Sehr wohl, Eure Hoheit.«
»Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Ian um jeden Preis von dieser Frau ferngehalten werden muss.« Hart blickte erneut auf die Frau mit dem hübschen runden Gesicht und den dunklen, aufgesteckten Locken. Im Grunde sah sie harmlos aus, doch Hart wusste am besten, wie sehr der äußere Schein trügen konnte. Bereits zum fünften Mal druckte eine Pariser Zeitung eine derart pikante Geschichte. »Ganz gleich, welche Absichten diese Frau verfolgt, sie können nicht gut sein.«
»Nein, Eure Hoheit.«
»Bereiten Sie meinen kleinen Handkoffer vor. Für den Notfall möchte ich jederzeit abreisebereit sein, Wilfred.«
»Sehr gern, Eure Hoheit. Soll ich die Zeitung entsorgen?«
»Noch nicht.« Hart legte die Hand darauf. »Noch nicht.«
Mit einer Verneigung verließ Wilfred das Zimmer. Abermals widmete sich Hart der Zeichnung, in der Ian Mrs Ackerley von der Seite her ansah. Natürlich konnte das der Freiheit des Künstlers geschuldet sein, aber es traf die Wirklichkeit doch recht genau. Mittlerweile musste Mrs Ackerley mit Ians Vergangenheit vertraut sein, mit seinen Verschrobenheiten, seinen Kopfschmerzen und Albträumen. Letzteres nur gesetzt den Fall, die Frau hatte sich schon den Weg in sein Bett gebahnt. Hart saß mit geballten Fäusten vor der Zeitung. Ian hätte nicht einmal in Paris sein dürfen. Er hatte in London bleiben sollen, bis er seine Geschäfte
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