Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
ihn ein, abscheuliche Erinnerungen. Noch einmal betrat er Sallys Zimmer, sah ihren fahlen Leib in den Laken liegen, ihr gefärbtes rotes Haar lag in einem ähnlichen Muster wie Beths vorhin, ihre Arme waren blutüberströmt, auf ihrem Gesicht lag ein überraschter Ausdruck. »Ich konnte ihr nicht helfen. Ich habe sie im Stich gelassen.«
Auch Lily Martin, die in jener Nacht mit schreckgeweiteten Augen vor dem Zimmer im Gang gestanden hatte, auch sie hatte er im Stich gelassen. Sie hatte alles gesehen. Alles gewusst. Und durfte den Polizisten nichts sagen. Fünf Jahre lang hatte er Lily versteckt, doch am Ende hatte auch sie den Tod gefunden.
Und Beth wäre die Nächste. Wenn sie alles erfuhr, wäre sie auch in Gefahr.
»Hilf mir zu verstehen«, flehte Beth. »Sag mir, wovor du Angst hast und warum du mir das antust.«
»Ich hätte es wissen können. Hätte es verhindern müssen.«
»Was verhindern? Was wissen?«
Ian packte Beth so fest bei den Schultern, dass sie zusammenzuckte. Dann löste er den Griff und erhob sich. »Hör auf, mich danach zu fragen.«
»Ian. Ich bin deine Frau. Ich laufe nicht anschließend zu Fellows und erzähle ihm alles. Das habe ich dir schon damals in Paris versprochen.«
»Inspektor Fellows schert mich nicht.«
Auf einmal lachte sie, und Ian konnte sich partout nicht erklären, was daran lustig war. »Du hast mich doch nur geheiratet, damit Fellows mir nicht all deine Geheimnisse entlocken kann. Warum sonst solltest du eine naive Witwe heiraten, die zudem nicht mehr die Jüngste ist?«
Wovon redete sie nur? »Ich habe dich geheiratet, um ihn von dir fernzuhalten. Um Narren wie Mather von dir fernzuhalten. Harts Name beschützt unsere Familie, also habe ich dich zu einer MacKenzie gemacht. Niemand kann einem MacKenzie etwas anhaben.«
»Weil sich der mächtige Herzog von Kilmorgan so gut mit dem Innenministerium steht?«
»Ja.«
Ihre Augen waren so blau. Durch die Tränen waren sie kornblumenblau, atemberaubend blau. Ein stechender Kopfschmerz bohrte sich durch seine Schläfen, die er sogleich massierte.
»Ich möchte dir helfen, herauszufinden, was passiert ist«, sagte Beth. »Helfen, dass du es endlich hinter dir lassen kannst.«
Oh Gott . »Nein, nein, nein. Lass es ruhen.«
»Wie könnte ich das? Es zerreißt dich, und es zerreißt mich. Wenn du mir alles erzählst, können wir gemeinsam ergründen, was womöglich geschehen ist.«
Ian wandte sich abrupt ab. »Das ist keine Detektivgeschichte.«
Sie biss sich auf die Lippe, weiße Zähne auf rotem Grund, ausgerechnet jetzt keimte Verlangen in ihm auf. Doch wenn er sie jetzt liebte, sie stieß, bis sie nach Atem rang, würde sie endlich aufhören, ihm Fragen zu stellen und ihn so durchdringend anzusehen.
»Ich bin im East End aufgewachsen«, sagte sie, ihre Stimme schwebte an ihm vorbei. »Ich habe viele Dirnen gekannt, und sie haben mich nicht gehasst, wenigstens die meisten nicht. Vielleicht kannten ein paar davon Sally Tate, wussten, wer ihr nachgestellt und sie umgebracht hat, womöglich in einem Anfall von Eifersucht … «
Schließlich gelang es Ian, sich wieder auf ihre Worte zu konzentrieren. Er packte ihre Handgelenke. »Nein!« Er sah ihr in die Augen … so blau und wunderschön wie der Sommerhimmel …
Gewaltsam schloss er die Augen. »Halt dich da raus. Lass die Mädchen da raus. Was meinst du, warum Lily Martin sterben musste?«
Stille. Als Ian die Augen wieder öffnete, saß Beth immer noch vor ihm, die Lippen leicht geöffnet. Ihre Brüste quollen weich und weiß und verführerisch aus dem Unterkleid.
»Sie ist gestorben, weil sie zu viel wusste«, sagte er. »Ich konnte sie nicht retten. Und ich möchte nicht, dass du ebenso endest.«
Angstvoll weiteten sich ihre Augen. »Du meinst also, der Mörder würde noch einmal zuschlagen?«
Seine Lungen brannten. Er riss sich von ihr los, ballte die Fäuste, bis die Nägel Abdrücke auf der Haut hinterließen. »Verflucht noch mal, lass es endlich auf sich beruhen. Das geht dich nichts an.«
»Du hast mich zu deiner Frau gemacht. Natürlich geht es mich etwas an.«
»Und als meine Frau hast du mir zu gehorchen.«
Beth stemmte die Hände in die Hüften und hob die Brauen. »Über die Ehe weißt du nicht viel, oder?«
»Ich weiß gar nichts über die Ehe.«
»In der Ehe teilt man seine Sorgen. Die Frau steht dem Mann bei, der Mann steht der Frau bei … «
»Um Gottes willen.« Ian drehte sich nervös weg. »Ich bin nicht dein Pfarrer Thomas. Das
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