Kein Mann für jeden Tag: Roman (German Edition)
kann hervorragend mit Menschen umgehen, mit Zahlen allerdings habe ich gewisse Probleme«, brüste ich mich stolz.
Warum sieht er mich nur so merkwürdig an?
Drittes Einstellungsgespräch: »Und sind Sie bereit, manchmal auch Überstunden zu machen?« Es geht um einen Job in einer angesagten Werbeagentur, und ich habe mich bis zu diesem Zeitpunkt überraschend gut geschlagen.
»Auf jeden Fall«, antworte ich. »Ich gebe hundertzehn Prozent und werde Sie nicht enttäuschen.«
Unter dem Schreibtisch kreuze ich die Finger. Ich habe dieses Geschwafel von hundertzehn Prozent schon immer gehasst,doch das strahlende Lächeln meines Gegenübers signalisiert mir, dass er sehr zufrieden mit der Antwort ist.
Er steht auf und beugt sich zu mir hinunter. »Sie sind also hungrig, Gilly?«
Ich schaue auf meine Uhr. »Also, wenn ich es mir recht überlege, habe ich durchaus etwas Appetit«, antworte ich und frage mich schon, wohin er mich wohl ausführen wird, um meine Einstellung mit mir zu feiern.
»Ich meinte eher, ob Sie hungrig auf Erfolg sind«, sagt er leise.
Ich öffne die Augen und muss laut lachen. Himmel, beim letzten Gespräch habe ich wirklich arg gepatzt. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass ich den Job ebenfalls nicht bekommen habe. Nach mehreren weiteren Fehlschlägen verlor ich sowohl die Lust als auch mein Selbstvertrauen, und als Mari mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, für ihre Verkäuferin einzuspringen, sagte ich sofort zu. Ich hoffte, dass ein Job auf Zeit mir Gelegenheit gäbe, meinen Kopf freizubekommen, darüber nachzudenken, was ich wirklich tun will, und meine Antworten für Einstellungsgespräche ein wenig aufzupolieren.
Meine Freunde und meine Familie lächelten nur milde, als ich ihnen erzählte, dass ich jetzt in einem Antiquitätenladen arbeitete. Meine beste Freundin Anna, die im Marketing arbeitet, sagte, sie hätte sich Antiquitätenhändler bisher immer klein, kahlköpfig, mit einer Lesebrille auf der Nase und nach vorn gezogenen Schultern vorgestellt, weil sie ständig versuchten, verwitterte Warenzeichen auf Porzellantellern zu entziffern.
Aber mir gefällt es hier wirklich. Oft besuchen außergewöhnliche Kunden aus der ganzen Welt Maris Laden. Erst gestern war eine Italienerin in einem Outfit von Vivienne Westwood da, die sich ihren Designerschal immer wieder so dramatisch über die Schultern warf, dass er an irgendwelchen Antiquitäten hängen blieb. Mehr als einmal musste ich ihn vorsichtig von einer Vase oder einem Lampion entfernen, wobei ich innerlich darum betete, ihn nicht zu beschädigen. Als die Frau Anstalten machte,mit ihren Killerabsätzen die Treppe hinunterzugehen, schlug ich ihr vor, lieber in meine Birkenstocksandalen zu schlüpfen.
Maris Laden umfasst zwei Etagen. Im Erdgeschoss liegen auf den knarzenden Holzdielen alte Kelims, über die man gern stolpert. Eine heimtückische Treppe führt ins Untergeschoss, in dem es ein wenig modrig riecht, und obwohl dort ein ausgesprochenes Durcheinander herrscht, besitzt es einen gewissen Charme.
Mein Problem ist, dass ich mich immer und immer wieder gefragt habe, als was ich eigentlich arbeiten möchte – aber ich weiß es einfach nicht. Ich will mich nicht für irgendeinen Job bewerben, sondern möchte etwas tun, das mich begeistert.
Maris wahre Liebe ist das Theater. Wird sie gefragt, was sie tut, so antwortet sie meistens stolz, dass sie Schauspielerin ist, und das stimmt sogar, denn in ihrer Freizeit steht sie in kleinen Theaterproduktionen auf der Bühne.
»Ich würde meinen Traum nie und nimmer verraten«, sagt sie, »weil ich keinesfalls mit einem verbitterten Zug um den Mund herum sterben will. Du musst etwas finden, das dich glücklich macht, Gilly.«
Aber was ist mein Traum?
Seit ich die Universität von Manchester mit einem Abschluss in Englisch verlassen habe, bin ich immer so schnell von einem Job zum nächsten gewechselt, als würde ich mir auf heißen Steinen die Füße verbrennen. Mein alter Geschichtslehrer hat früher einmal gesagt, ich sei wie ein Schmetterling, weil ich nie sehr lang an einem Ort verweilen kann. Bei der Erinnerung muss ich lächeln.
»Wenn ich groß bin, werde ich Bauer«, hatte ich meinen Klassenkameraden irgendwann erklärt. »Ich will einmal viele Pferde und Hunde haben.«
Friseurin war die nächste Idee gewesen.
Popstar.
Model.
Tierarzt.
Mein Lebenslauf ist ein wahrer Flohmarkt der unterschiedlichsten Jobs, die von Wohltätigkeitsarbeit bis – Ironie des
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