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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Harvey
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Abschied, sagte, dass sie mich liebe, wie man das so sagt, wenn man zu viel getrunken hat. Und dass sie sich melden würde. Havens und ich verabredeten uns für den nächsten Nachmittag, um Moncata zu besuchen. Dann waren sie weg. Und ich war allein. Ich ging an die Theke und bestellte mir noch ein Bier. Im Fernseher sah man die Cubs, was für sich schon ausreichte, um den Abend abzuhaken. Ich spielte mit dem Gedanken, nach Hause zu fahren, und dann noch mit ein paar anderen, bis sich eine Hand auf meine Schulter legte.
    »Heh, Northwestern.«
    Ich drehte mich um. Vor mir stand die junge Latina aus dem Straßenverein, mit den goldenen Strähnen im dunklen Haar. Sie lächelte mich an, schwang sich auf den Hocker an meiner Seite und streckte die Hand aus.
    »Erinnerst du dich noch an mich?«

SIEBENUNDZWANZIG
    Wir legten los, kaum dass wir durch die Tür waren. Im Flur und dann im Wohnzimmer auf dem Tisch. Soweit ich mich erinnerte, ging es in meinem Bett weiter. Ihre Hände fuhren über meinen Rücken, ihre Schenkel umspannten mich und drückten zu. Beim letzten Mal lag sie auf mir und konzentrierte sich mit geschlossenen Augen. Ihre Zähne schimmerten, und ihre Hüften gehorchten einem eigenen Rhythmus. Ob noch mehr gewesen war, konnte ich nicht sagen. Ich hoffte nur, dass es mir gefallen hatte.
    Kurz nach drei Uhr morgens wurde ich wach. Ihr Geruch hing noch in den Laken, aber das Mädchen war fort. Ich stand auf und tastete mich mit dröhnendem Schädel nach unten. Meine Kleidungsstücke fand ich über das Wohnzimmer verstreut. Von ihren war nichts mehr zu sehen. Ich setzte mich aufs Sofa und erinnerte mich vage an eine Kneipe nach dem Clarence. Möglicherweise auch noch an eine zweite. Irgendwo war ein Sessel wie aus einem Barbier-Salon gewesen, auf dem hatte ich gesessen, mit zurückgelegtem Kopf und aufgesperrtem Mund. Über mir stand Theresa, in einer Hand eine Flasche Tequila, in der anderen eine mit Limonensaft. »Margarita auf den Kopf gestellt«, hatte man das genannt. Mein Mund fühlte sich pelzig an. Ich schluckte fünf Aspirin und trank ein paar Gläser Leitungswasser. Dann vergewisserte ich mich, dass die Haustür verriegelt war, und schleppte mich wieder hoch ins Bett. Vor dem Einschlafen warf ich einen Blick auf mein Handy. Keine Nachrichten. Ich fragte mich, wo meine beiden Kommilitonen waren, und versank erneut in schwarzer Tiefe.

ACHTUNDZWANZIG
    Kaum zwei Stunden später brannte der Straßenverein nieder. Grace rief mich kurz nach acht Uhr morgens auf dem Handy an. Die Einzelheiten verschwammen in meinem Kopf, aber ich begriff, dass sie sagte, ich solle kommen. Und zwar sofort. Irgendetwas in ihrer Stimme verriet mir, dass ich es ja nicht wagen sollte, nicht zu erscheinen. Ich hievte mich aus dem Bett und zog mich an. Die Tabletten und das Wasser hatten offenbar gewirkt; ich fühlte mich nicht halb so schlecht, wie ich mich fühlen sollte.
    Die Straße, auf der sich der Straßenverein befand, war abgesperrt, ein paar Cops leiteten den Verkehr um. Einige Blocks weiter fand ich einen Parkplatz, stellte meinen Wagen ab und lief zurück. Langsam drang die Bedeutung dieses Feuers zu mir durch, und ich erinnerte mich an die Anspielungen, die Grace bei meinem Besuch gemacht hatte. Dann dachte ich an Theresa und fragte mich, wo sie war. An dem Punkt setzten meine Kopfschmerzen wieder ein, heftiger als zuvor.
    Grace stand in einem Haufen Schutt, der einmal ihr Büro gewesen war. Jetzt war nichts mehr davon übrig. Weder Dach, noch Wände. Es gab überhaupt kein Gebäude mehr, nur noch Geröll, verkohlte Holzbalken und zu Klumpen geschmolzene Plastikteile. Ich wartete, bis Grace ihr Gespräch mit einem Feuerwehrmann beendet hatte. Von den Bewohnern des Straßenvereins schien niemand da zu sein, doch das Wichtigste war, dass auch nirgendwo eine Theresa war. Ich atmete auf.
    »Na, was sagen Sie dazu?« Grace trat gegen aufgeschüttete Gipsreste. In ihrer Stimme schwang etwas Wütendes, aber ich wusste nicht, wem es galt.
    »Wie ist das passiert?«, fragte ich.
    »Na, wie wohl? Irgendwer hat die Bude abgefackelt.«
    »Sagt das die Feuerwehr?«
    »Kommen Sie mit.«
    Wir traten über einen Mauerrest hinweg in die Gasse hinter dem Straßenverein. Grace lief ein paar Schritte und deutete auf die Feuerwehrleute, die sich über einen rauchenden Schutthaufen beugten.
    »Das war mal unsere Hintertür«, erklärte sie. »Laut Feuerwehr wurde sie aufgebrochen. Auf dem Fußboden und an den Wandresten haben sie

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