Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
schon seit einer Weile nicht mehr gesprochen, und ich vermute, dass sie versucht, meine Kräfte zu schonen. Auch sie spürt das Ende kommen.
Mühsam schlage ich die Augen auf, doch sie ist jetzt nur ein verschwommenes Bild.
»Nein.« Meine Stimme klingt röchelnd und nuschelig, fast unverständlich. »Darüber wolltest du nie reden.«
Sie legt den Kopf schief. »Ich habe mich darauf verlassen, dass du entscheidest.«
I ch erinnere mich an den Moment, in dem ich schließlich meinen Entschluss fasste. Es war früher Abend, ein paar Tage nach den Treffen in Howies Büro. Eine Stunde vorher hatte Howie angerufen, um sich zu erkundigen, ob ich noch Fragen hätte oder er einen der Gesprächspartner noch einmal kontaktieren solle. Nach dem Telefonat machte ich mich mit meinem Rollator auf den Weg zur Terrasse.
Dort standen zwei Schaukelstühle rechts und links ei nes kleinen, lange nicht benutzten und eingestaubten Tischs. In jüngeren Jahren saßen Ruth und ich oft da und unterhielten uns, sahen zu, wie die Sterne aus ihrem Versteck am sich langsam verdunkelnden Himmel auftauchten. Später, als wir älter waren, wurden diese Abende draußen selten, denn wir waren beide empfindlicher. Die Kälte des Winters und die Hitze des Sommers machten die Terrasse die Hälfte des Jahres für uns unbenutzbar, nur im Frühling und Herbst wagten Ruth und ich uns noch hinaus.
An jenem Abend aber saß ich trotz der Wärme und der dicken Staubschicht auf den Schaukelstühlen wie früher dort. Ich dachte über den Termin bei Howie und alles, was dort gesagt worden war, nach. Und mir wurde klar, dass Ruth recht gehabt hatte: Keiner verstand wirklich.
Eine Zeit lang spielte ich mit dem Gedanken, die gesamte Sammlung Andrea Lockerby zu vermachen, und wenn nur, weil auch sie Daniel geliebt hatte. Aber ich kannte sie eigentlich nicht. Außerdem war ich enttäuscht, dass sich Daniel, trotz des offenkundigen Einflusses, den Ruth auf sein Leben gehabt hatte, nie bei ihr gemeldet hatte. Das konnte ich nicht nachvollziehen und auch nicht gänzlich verzeihen, denn ich wusste, dass es Ruth das Herz gebrochen hatte.
Es gab keine einfache Lösung für die Frage der Nachlassregelung, denn für uns ging es bei der Kunst nie um Geld. Wie damals die Reporterin, begriffen auch diese Kuratoren und Sammler, diese Experten und Verkäufer das einfach nicht. Mit dem Echo von Ruths Worten im Kopf spürte ich die Lösung endlich Gestalt annehmen.
Eine Stunde später rief ich Howie bei sich zu Hause an. Ich teilte ihm meine Absicht mit, die gesamte Sammlung zu versteigern, und er nahm meine Entscheidung ohne Diskussion hin. Auch dass ich die Auktion in Greensboro abhalten wollte, stellte er nicht infrage. Als ich ihm allerdings erklärte, wie sie vonstattengehen sollte, war er vor lauter Verblüffung so still, dass ich mich schon fragte, ob er noch in der Leitung war. Endlich räusperte er sich und erklärte mir, was das alles mit sich brächte. Ich sagte, Geheimhaltung habe höchste Priorität.
Im Laufe der folgenden Monate wurde alles Nötige arrangiert. Ich fuhr noch zwei Mal in Howies Kanzlei und sprach mit den Vertretern von Sotheby’s. Auch mit den Geschäftsführern verschiedener jüdischer Organisationen traf ich mich erneut. Die Summen, die sie erhalten würden, hingen selbstverständlich von der Auktion ab und von den Preisen, die die Bilder erzielen würden. Zu diesem Zweck katalogisierten und fotografierten Sachverständige die gesamte Sammlung und ermittelten die Provenienz der Werke. Schließlich wurde mir ein Katalog zur Absegnung zuge schickt. Der Schätzwert der Bilder war selbst für mich unfassbar, aber das spielte ja keine Rolle.
Als endlich sämtliche Vorbereitungen für die erste und alle folgenden Auktionen abgeschlossen waren – es war unmöglich, die Gemälde an einem einzigen Tag zu verkaufen –, sprach ich sowohl mit Howie als auch mit dem Zuständigen von Sotheby’s noch einmal über ihre Verantwortlichkeiten und ließ sie zahllose Schriftsätze unterzeichnen, um sicherzustellen, dass an meinem Plan keine Änderungen vorgenommen werden konnten. Ich wollte auf jede Eventualität vorbereitet sein, und ganz zum Schluss unterschrieb ich im Beisein von vier Zeugen mein Testament.
Hinterher saß ich zu Hause im Wohnzimmer und betrachtete das Bild von Ruth, müde und zufrieden. Ich vermisste sie, in jenem Augenblick vielleicht sogar mehr als je zuvor, dennoch lächelte ich und sagte laut, was sie hätte hören wollen.
»Sie
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