Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
dachte Sophia. Sie überlegte noch ein paar Sekunden hin und her, dann speicherte sie ihre Arbeit ab und fuhr den Computer herunter. Sie packte ihn in den Rucksack und zog die Jacke an.
Als sie die Tür aufstieß, wehte ihr ein unerwartet eisiger Luftschwall entgegen, und der Boden war von einer wachsenden Schneeschicht bedeckt. Die Temperatur musste in den letzten Stunden um ungefähr zehn Grad gefallen sein. Sie würde auf dem Rückweg garantiert erfrieren.
Aber noch nicht. Sie holte das Handy aus der Tasche und schlüpfte zurück in den Vorraum der Bibliothek. Marcia hob beim ersten Tuten ab. Im Hintergrund waren dröhnend laute Musik und wildes Stimmengewirr zu hören.
»Sophia? Gott sei Dank rufst du an!«
Sophia atmete tief durch. »Was ist denn so dringend?«
Die Nebengeräusche wurden leiser, offensichtlich suchte sich Marcia ein ruhigeres Plätzchen. Eine Tür knallte zu, dann hörte sie Marcia deutlicher.
»Du musst sofort zum Wohnheim kommen«, sagte sie mit einem Hauch von Panik in der Stimme.
»Warum?«
»Luke ist hier! Er parkt vor der Tür und wartet da seit zwanzig Minuten. Du musst dich unbedingt beeilen.«
Sophia schluckte. »Wir haben uns getrennt, Marcia. Ich will ihn nicht sehen.«
»Ach so.« Marcias Verwirrung war nicht zu überhören. »Das ist ja furchtbar. Ich weiß doch, wie sehr du ihn mochtest.«
»War das alles? Ich muss jetzt mal –«
»Nein, warte!«, rief Marcia. »Klar, du bist sauer auf mich, und das habe ich auch verdient, aber deshalb rufe ich nicht an. Brian weiß, dass Luke hier ist, Mary-Kate hat es ihm vor ein paar Minuten erzählt. Er hat schon ziemlich viel getrunken und trommelt gerade ein paar Jungs zusammen, um sich Luke vorzuknöpfen. Ich habe versucht, es ihm auszureden, aber du kennst ihn ja. Und Luke ist völlig ahnungslos. Auch wenn ihr Schluss gemacht habt, willst du doch sicher nicht, dass ihm was passiert –«
Da hörte Sophia schon nicht mehr zu. Der eisige Wind übertönte Marcias Stimme, als sie zurück zum Wohnheim rannte.
S ie nahm jede Abkürzung über den wie ausgestorben wirkenden Campus, die es nur gab, um noch rechtzeitig zu kommen. Unterwegs wählte sie mehrfach Lukes Handynummer, aber er ging nicht dran. Sie schaffte es sogar, ihm im Laufen eine kurze SMS zu schicken, bekam jedoch keine Antwort.
Es war nicht weit, aber der Februarwind war schneidend, er brannte auf Sophias Ohren und Wangen, und zusätzlich rutschte sie immer wieder auf dem frischen Schnee aus. Sie hatte keine Stiefel an, und nun drang kaltes Wasser in ihre Schuhe und durchweichte ihre Strümpfe. Es fielen weiterhin dicke, nasse Flocken, ein Schnee, der sich am Boden sofort zu Eis verwandelte und die Straßen gefährlich machte.
Sophia lief jetzt, so schnell sie konnte, und versuchte immer noch vergeblich, Luke anzurufen. Endlich bog sie in die Straße der Verbindungswohnheime ein, wo sich Studenten hinter hell erleuchteten Fenstern drängten. Ein paar Leute waren draußen unterwegs, hasteten von einer Party zur anderen, das übliche Samstagabendritual von Hemmungslosigkeit und Exzess. Sophias Wohnheim lag ganz am Ende der Straße, und als sie die Augen zusammenkniff, konnte sie schwach den Umriss von Lukes Pick-up ausmachen.
Genau in diesem Moment trat eine kleine Gruppe aus einem Wohnheim auf der anderen Straßenseite. Fünf oder sechs Männer, angeführt von einem sehr großen. Brian . Kurz darauf folgte eine weitere Gestalt, und obwohl sie nur kurz durch das Licht auf der Veranda huschte, erkannte Sophia ihre Mitbewohnerin sofort. Schwach, vom Winter wetter gedämpft, hörte sie Marcia Brian nachrufen, er solle stehen bleiben.
Bei jedem Schritt schlug Sophia der Rucksack gegen den Rücken, und ihre Füße schlitterten unbeholfen über den Schnee. Sie kam näher, aber nicht schnell genug. Brian und seine Freunde hatten sich bereits auf beiden Seiten des Pick-ups verteilt. Sophia war noch vier Häuser entfernt und konnte nicht erkennen, ob Luke überhaupt im Wagen saß. Erneut hallte Marcias Stimme durch die Straße, jetzt wütend. »Das ist doch bescheuert, Brian! Vergiss ihn einfach!«
Noch drei Häuser. Brian und ein Freund rissen die Fahrertür auf und streckten die Hände hinein. Ein Handgemenge begann, und Sophia schrie, als Luke aus dem Auto gezerrt wurde.
»Lasst ihn in Ruhe!«, rief sie.
»Jetzt hör schon auf, Brian!«, schrie Marcia.
Brian, deutlich angetrunken, ignorierte sie beide. Luke taumelte in die Arme von Jason und Rick, die auch mit Brian
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