Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
Kaufinteressenten gedacht waren. Ein paar Minuten später setzten sich Männer und Frauen in Anzügen und Kostümen an die Telefone auf den Tischen, und der Raum wurde verdunkelt. Einige Scheinwerfer beleuchteten die Bühne von oben.
Sophia ließ den Blick über das Publikum schweifen und entdeckte ihre beiden Kunstgeschichtsdozenten. Schließlich, um kurz vor eins, wurde es allmählich leiser und dann gänzlich still im Raum, als ein silberhaariger Herr in einem gut sitzenden Anzug zum Podium schlenderte. In den Händen hielt er eine Mappe, die er vor sich aufklappte, bevor er seine Lesebrille aus der Brusttasche zog. Er setzte sie auf und ordnete die Seiten.
»Sehr verehrte Damen und Herren, ich möchte Ihnen allen danken, dass Sie zur Versteigerung der außergewöhnlichen Sammlung von Ruth und Ira Levinson erschienen sind. Wie Sie wissen, ist es ungewöhnlich für unser Haus, eine solche Veranstaltung nicht in unseren eigenen Räumlichkeiten abzuhalten, doch in diesem Fall hat Mr Levinson uns keine Wahl gelassen. Auch ist es eher unüblich, dass die Einzelheiten der Auktion im Vorfeld etwas unbestimmt bleiben. Aber auch dies entsprach dem Wunsch von Mr Levinson. Zu Anfang möchte ich Ihnen die Regeln erläutern. Unter jedem Sitz befindet sich ein Schild mit einer Nummer, und ...«
Er fuhr fort, die Gebotsabgabe zu beschreiben, und Sophias Gedanken schweiften erneut zu Ira ab. Nur mit halbem Ohr vernahm sie die Aufzählung der Auktionsbesucher – Kuratoren des Whitney und des Mo MA , der Tate und zahlreicher anderer Museen und Galerien in aller Welt. Sophia schätzte, viele der Anwesenden vertraten private Sammler, sicherlich in der Hoffnung, ein außergewöhnliches Stück zu ergattern.
Nachdem er die Formalien erklärt und einigen Einzelpersonen und Institutionen gedankt hatte, richtete der Auktio nator seine Aufmerksamkeit wieder auf das Publikum.
»An dieser Stelle ist es mir ein Vergnügen, Ihnen Howie Sanders vorzustellen. Mr Sanders hat Ira Levinson viele Jahre als Anwalt vertreten und möchte ein paar Vorbemerkungen machen.«
Daraufhin erschien Sanders, ein gebeugter, betagter Herr, dessen dunkler Wollanzug um seine knochige Gestalt schlackerte. Langsam schritt er zum Podium. Dort räusperte er sich kurz und begann seine Rede dann mit einer bemerkenswert kraftvollen und klaren Stimme.
»Wir sind hier zu einem außergewöhnlichen Anlass zusammengekommen. Denn dass eine Sammlung von diesem Umfang und dieser Geltung so viele Jahre unbemerkt bleibt, geschieht nicht alle Tage. Bis vor sechs Jahren wussten vermutlich die wenigsten in diesem Raum von ihrer Existenz. Die Umstände ihrer Entstehung wurden damals in einem Zeitschriftenartikel beschrieben, und doch muss ich zugeben, dass selbst ich, nach vierzig Jahren Tätigkeit als Ira Levinsons Anwalt, verblüfft über die kulturelle Bedeutung und den Wert dieser Bilder war.«
Er hielt kurz inne und blickte auf, dann fuhr er fort: »Aber deshalb bin ich nicht hier. Ich bin hier, weil Ira sehr genaue Instruktionen für diese Versteigerung hinterlassen und mich gebeten hat, ein paar Worte vorab zu sagen. Ich gestehe, dass es mir lieber gewesen wäre, er hätte mich davor verschont. Ich bin es zwar gewöhnt, im Gerichtssaal oder in meiner Kanzlei zu sprechen, doch einem Publikum wie Ihnen stehe ich nur selten gegenüber. Viele von Ihnen haben den Auftrag, ein ganz bestimmtes Kunstwerk für einen Kunden oder eine Institution zu erwerben, zu einem Preis, der meine Vorstellungskraft übersteigt. Weil aber mein Freund Ira mich nun einmal darum gebeten hat, befinde ich mich jetzt in dieser wenig beneidenswerten Lage.«
Hier und da war unter den Zuschauern ein gutmütiges Lachen zu vernehmen.
»Was soll ich Ihnen über Ira erzählen? Dass er ein guter Mensch war? Ein ehrlicher, pflichtbewusster Mensch? Dass er ein Mann war, der seine Frau anbetete? Oder soll ich Ihnen von seinem Geschäft berichten oder vielleicht von der stillen Weisheit, die ihm innewohnte? Was würde Ira sagen, wenn er statt meiner vor Ihnen stünde? Ira, glaube ich, hätte gesagt: ›Ich möchte, dass Sie alle verstehen.‹«
Er machte eine Pause, um sich zu vergewissern, dass alle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war.
»Es gibt ein wunderbares Zitat, auf das ich gestoßen bin. Es wird Pablo Picasso zugeschrieben, und wie die meisten von Ihnen wahrscheinlich wissen, ist er der einzige nicht amerikanische Künstler, dessen Werk in der heutigen Auktion vertreten ist. Vor Jahren soll also
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