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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Rathgeb
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Sie gingen von den Eltern direkt zu ihren zukünftigen Ehemännern. Von einem Zuhause ins nächste. Von einer Verpflichtung zur anderen.
    Sie hoben die Gläser, die sie in der Hand hielten, an den Mund und tranken einen Schluck Wasser.
    Man muss viel Wasser trinken, dachte Vika. Nicht auf einmal, sondern über den Tag verteilt. Ruth vergisst immerzu, genügend Wasser zu trinken.
    Sie schaute auf Ruths Glas.
    »Ich ging 1952 nach New York«, sagte Ruth.
    »Es war im Jahr 1953«, verbesserte Vika. »Ich kam im Winter 1955 nach. In dem Jahr, in dem Perón abgesetzt wurde. Du riefst mich an und sagtest, ich solle kommen, ich würde in New York rasch eine gute Arbeit finden. Und so war es, ich fand sofort eine gute Arbeit.«
    »Arbeit gab es überall.«
    »Wir sprachen drei Sprachen, wir hatten kein Problem, eine gute Arbeit zu finden.«
    »Du hattest studiert.«
    Sie ist immer viel klüger gewesen als ich, dachte Ruth. Sie kümmerte sich immer um alles.
    »Mathematik. Vater war dagegen, er wollte, dass ich Pharmazie studierte.«
    »Ah non.«
    »Mathematik sei etwas für Männer, sagte er. Aber ich bekam meinen Willen. Ich studierte anfangs Pharmazie, aber heimlich auch Mathematik.«
    Ich wollte nicht studieren, sondern leben, dachte Ruth. Zum Studieren war ich zu faul, zu unruhig, zu dumm. Ein Studium interessierte mich nicht. Jetzt ist das Leben vorbei, als wäre nichts gewesen. Nur die Erinnerungen sind geblieben. Vika kann sich an alles erinnern, ich nicht, als hätte ich nicht gelebt. Was einmal war, das verschwimmt. Meine Erinnerungen lösen sich auf. Wenn man sein ganzes Leben vergessen hat, dann hat man nicht gelebt. Ich werde immer weniger gelebt haben, weil mein Gedächtnis mich immer mehr im Stich lässt. Ich bemühte mich zu leben, aber ich bemühe mich nicht, die Erinnerungen an mein Leben festzuhalten. Ich lasse sie fortziehen. Sie gehen, ohne mir vorher Bescheid zu sagen, als wären wir uns fremd geworden, als hätten wir nichts miteinander zu tun.
    Die Schuhe, die sie nur zuhause trugen, standen müde vor dem Sofa.
    »Wir sprachen perfekt Englisch, lange bevor wir nach New York gingen.«
    »Du zuerst, ich zwei Jahre später.«
    »Perfekt Englisch, perfekt Spanisch, perfekt Deutsch.«
    Nur wenn man etwas perfekt kann, dachte Ruth, beherrscht man es. Nur wenn man etwas beherrscht, ist man unangreifbar. Die Männer warten bei einer Frau nur darauf, dass sie einen Fehler macht. Als Frau kann man sich keinen Fehler erlauben. Alles muss perfekt sein.
    Sie schaute auf ihr Kleid.
    Noch jetzt, dachte sie, ist mir wichtig, dass alles perfekt ist. Keine Unordnung, kein Schmutz, keine Nachlässigkeiten. Ich werde mir keine neuen Kleider mehr kaufen können. Ich gehe nicht mehr aus der Wohnung. Die alten Kleider müssen noch eine Weile halten.
    »Das kannten sie dort nicht, dass jemand so viele Sprachen beherrschte«, sagte Vika. »Spanisch und schlechtes Englisch, Chinesisch und schlechtes Englisch, Deutsch und schlechtes Englisch, daran waren sie gewohnt. Aber Spanisch, Englisch und Deutsch perfekt, das war selten. Die Sprachen waren unser Kapital.«
    Wir haben es gut angelegt, dachte sie. Wir mussten nie hungern. Wir hatten genug von allem.
    »Ah non.«
    »Sie nahmen dich sofort, sie stellten dich sofort ein.«
    Ruth schaffte es, sie besaß den Willen, das Durchsetzungsvermögen, dachte Vika. Ohne sie wäre ich nicht von zuhause weggekommen. Sie war es, die nach New York gehen wollte. Möglichst weit weg von den Eltern. Raus aus dem Land, in dem die Eltern lebten. Aber nicht nach Europa. Ins Nachkriegseuropa. Wohin sonst hätte sie gehen können? Sie hatte nur ein Ziel vor Augen, New York. Ohne sie wäre ich nicht nach New York gekommen.
    Die Müdigkeit der beiden war verflogen. Die Erinnerung an ihre Flucht nach New York belebte sie.
    »Sie wollten mich haben«, sagte Ruth. »Unbedingt wollten sie mich haben. Und sie kriegten mich. Dabei war ich jung und unerfahren. Aber das war ihnen egal.«
    New York, dachte sie, ist für mich die Freiheit gewesen. In New York fühlte ich mich sofort zuhause. Noch nie in meinem Leben war ich so aufgeregt gewesen wie damals, als ich zum ersten Mal nach New York fuhr. Ich war erlöst. Ich schwamm im Glück. Ich war im Rausch.
    »Du bist schnell aufgestiegen.«
    »Ich konnte nichts, nur die drei Sprachen, die aber perfekt.«
    »Du sahst gut aus.«
    »Ja, ich sah gut aus«, sagte Ruth.
    Und ob ich gut aussah, dachte sie. Ich kam im richtigen Alter nach New York, nicht zu jung, nicht

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