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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Rathgeb
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hätten wir mit einem deutschen Kochbuch anfangen sollen, dachte Ruth.
    »Das deutsche Essen liegt einem schwer im Magen«, sagte Vika.
    »Man wird davon nur dick.«
    Ich bin ohne deutsches Essen dick geworden, dachte Ruth. Jetzt sehe ich aus, als würde ich jeden Tag Knödel essen. Vika sieht aus, als würde sie nur Salat essen.
    »Sonntags ein Steak mit Salat, das reicht völlig«, sagte Vika.
    Freitags essen wir nie Fleisch, dachte sie, so katholisch sind wir immer noch. Nicht einmal regelmäßig Fisch. Dabei ist Fisch bei den Katholiken am Freitag erlaubt.
    »Wir essen fast nur italienisch. Ravioli.«
    »In dem Café gibt es vorzügliche Ravioli. Und Gnocchi.«
    »Vorzügliche Gnocchi«, bestätigte Ruth.
    »Freitags essen wir allerhöchstens Fisch. Aber das machen wir selten. Im Café gibt es keinen Fisch zu kaufen. Wenn wir Fisch essen, dann nur, weil ich ihn im Supermarkt gekauft habe.«
    »Am Freitag nie Fleisch, allerhöchstens Fisch mit grünem Salat. Mir ist ein Steak lieber als Fisch, schon wegen der Gräten.«
    »Ich hole immer Fisch ohne Gräten«, betonte Vika.
    »Man kann nie wissen. Auch wenn der Fisch keine Gräten hat, denke ich immer an Gräten, wenn ich Fisch esse.«
    »Du stellst dich an.«
    Sie kauten langsam auf dem Fleisch herum. Das Steak war zart und blutig, genauso wie sie es mochten.
    Saftiges Fleisch, dachten sie. Ganz anders als das alte Fleisch, das wir auf den Knochen haben.
    »Die Mutter aß zu viel Fleisch. Sie war unvernünftig.«
    »Leberwurst …«, begann Ruth.
    »Sie sehnte sich nach der fetten deutschen Leberwurst«, fiel ihr Vika ins Wort.
    »Gekochte Blutwürste und Leberwürste mit Kartoffelbrei und Sauerkraut. Man musste die Würste der Länge nach aufschneiden und das Innere mit der Gabel herausdrücken.«
    »Daran kannst du dich erinnern?«
    »Daran kann ich mich erinnern. Die Großeltern schlachteten selbst. Ich höre noch das panische Quiecken der Schweine, wenn sie geschlachtet werden sollten. Sie hatten Angst, sie wussten, was ihnen drohte. Und dann roch es überall nach Blut. Sie verboten uns nicht, zuzusehen. Der Großvater schlachtete die Hühner eigenhändig, die Schweine ließ er schlachten. Der Schlachter kam zu uns nach Hause. Sie fingen das warme Blut in einem Topf auf und rührten wild darin herum, damit sich keine Klumpen bildeten.«
    »Ich kann mich daran nicht erinnern«, sagte Vika.
    »Du warst zu klein. Mutter machte Würste. Blutwürste und Leberwürste.«
    »Ihre geliebten Blutwürste und Leberwürste.«
    »Ich hasste sie«, sagte Ruth. »Ich mochte sie nicht essen. Aber wir mussten sie essen.«
    »Wir mussten immer essen, was auf den Tisch kam.«
    »Einmal nörgelten wir über das Essen, und Vater schickte uns weg vom Tisch und wir bekamen den ganzen Tag nichts zu essen.«
    »Das sollte uns eine Lehre sein, und es war uns eine Lehre«, sagte Vika.
    »Wir aßen immer, was auf den Tisch kam, auch wenn es uns nicht schmeckte.«
    »Wir wurden nicht verwöhnt«, sagte Vika.
    »Davon profitierten wir später, dass wir als Kinder nicht verzärtelt wurden, dass wir keine Püppchen waren.«
    »Die Mutter kochte gut. In der Küche vor ihren Töpfen fühlte sie sich wohl.«
    »Ja, kochen konnte sie«, wiederholte Ruth.
    »Wenigstens etwas«, schob Vika nach, »viel konnte sie nicht, aber kochen konnte sie.«
    »Englisch konnte sie nicht«, sagte Ruth, »und Spanisch sprach sie schlecht. Sie wollte weder Englisch noch Spanisch lernen. Sie hasste fremde Sprachen, sie hasste fremde Länder. Sie liebte nur das Deutsche.«
    Ihr Deutschland war nicht unser Deutschland, dachte sie. Ihre Heimat war nicht unsere.
    »Das Deutsche«, sagte Vika. »Dabei hatte sie weder von Dürer noch von Schiller eine Ahnung, dabei kannte sie weder den Dom zu Speyer noch das Schloss Liebenstein.«
    »Ihr geliebtes Deutschland, ihr geliebtes Dorf«, sagte Ruth.
    »Wenn es nach ihr gegangen wäre …«
    »… dann wären wir im Dorf geblieben.«
    »Wir wären zwei alte zahnlose Weiber geworden, die nichts von der Welt gesehen haben«, sagte Vika.
    Sie schwiegen.
    Deutschland war weit weg. Die beiden Schwestern sprachen untereinander in drei Sprachen, sie träumten in drei Sprachen, und doch setzte sich das Deutsche immer wieder durch, und wenn sie über ihre Eltern sprachen, dann ausschließlich auf Deutsch. Hin und wieder fiel ein englisches Wort, ein englischer Satz, wenn ihnen das betreffende deutsche Wort nicht auf der Zunge lag oder sie mit einem englischen Satz besser ausdrücken

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