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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Rathgeb
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konnten, was sie meinten. Sie sprachen Deutsch mit einem Anflug jenes regionalen Dialektes, der bei ihren Eltern viel stärker ausgeprägt gewesen war. Die deutsche Sprache entfremdete die Schwestern von der Spanisch sprechenden Bevölkerung des Landes, in dem sie aufgewachsen waren, hob sie aus der Menge heraus und isolierte sie, so wie ihr hohes Alter und ihre leidenschaftliche Hingabe an die Erinnerungen sie aus der Gegenwart zogen. Als sie in New York lebten, sprachen sie meistens auch dann Englisch, wenn sie unter sich waren. Jetzt aber, da ihr Leben sich dem Ende zuneigte, griffen sie stärker auf die Sprache ihrer Eltern zurück. Deutsch hatten sie zuerst gelernt, und wenn es nicht ihre Heimatsprache geworden war, dann nur deshalb, weil sie in sehr jungen Jahren das Land ihrer Geburt verließen und die Erinnerungen an Deutschland sich rasch auflösten. In Buenos Aires und New York fühlten sie sich zuhause mit dem Recht von Ausgewanderten, die sich erfolgreich assimiliert hatten. Sie mochten beide Städte sehr. Aber ihre wahre Heimat, wo das Zelt ihrer Seelen stand, war ein zweihundert Quadratmeter großes Gebiet, dessen einzige Bewohner sie waren.
    »Sie hatte es nicht leicht«, begann Vika erneut.
    »Mit diesem Mann …«
    »Er hatte es auch nicht leicht.«
    »Mit dieser Frau …«
    Sie lachten auf, sie amüsierten sich wie ausgelassene Mädchen, die sie nie gewesen waren, über die kleine Frechheit, die sie sich den Eltern gegenüber erlaubten. Normalerweise hatten sie Respekt vor ihren Eltern, weit über das Grab hinaus, auch wenn sie mit ihnen haderten. Aber manchmal verleitete sie der Drang, aus der Rolle der braven Töchter zu fallen, zu verschämten Provokationen. Sie wussten, dass sie ein lächerliches Spiel trieben, und ihr Lachen erstarb sofort wieder, kaum dass es hell aufgeklungen war, und versank in dem dunklen Meer der Erinnerungen, das in ihnen schwappte und ihre letzten Kräfte absorbierte.

  7
    Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade (ich besaß ein Bild von dir, ein kleines Bild, kaum größer als meine Hand, ich war ein Kind, du trugst den blauen Mantel der Himmelskönigin, ein blaues langes Tuch, das Bild lag in meinem Gebetbuch, dein Gesicht war schön, weiß und zart, dein Haar nicht zu sehen, deine Augen, du schautest mich an, sahen traurig aus, als wüsstest du, was geschehen würde, dein Gewand war rot wie dein Mund, dein lieber voller Mund. Ich habe dich geküsst, ich habe ihn geküsst. Ich nahm das Bild aus dem Gebetbuch, legte es in meine Hand und führte die Hand an den Mund). Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen (schön wie eine Blume in der Sonne bist du, dein Leib ist ebenmäßig und weiß, wie durchsichtig, ich betrachtete mich im Spiegel, heimlich, es war verboten, als ich älter wurde, kein Kind mehr war, mein Blick, das Gesicht, die Brust, die Scham), und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesu. (Und Jesus sagte, lasst alle Kinder zu mir kommen, und auch ich bin zu ihm gekommen, ich sah das Kreuz abends, wenn ich einschlief, und ich sah es morgens, wenn ich erwachte. Du bist die Mutter, die Himmelskönigin, die ich im Herzen mit mir trug. Mein Herz war rein gewesen, nein, ich habe die Eltern nicht geehrt, nicht immer, schon damals nicht, ich ging zur Beichte, ich betete für sie. Ich bin eine alte schwache Frau, und ich bin allein, lass mich nicht allein, ich sehe dich vor mir, dein schönes Gesicht, deine traurigen Augen, deinen vollen roten Mund, den ich küsste. Das Bildchen verlor ich, und ich weiß nicht, wo es geblieben ist, wo das Gebetbuch geblieben ist, in dem das Bildchen steckte. Vika wüsste es, sie wusste immer, wo etwas war, sie hatte ein glänzendes Gedächtnis, aber Vika ist nicht mehr da, sie ist weit weg, wie du weißt, sie kann mir jetzt nicht helfen bei der Frage, wo dein Bild und das Gebetbuch hingekommen sind. Du hast gelitten, du hast das Leid erduldet und gelächelt, mit deinem vollen roten Mund in deinem schönen Gesicht. Gib mir Kraft, lege deinen Mantel um mich, der blau ist wie die junge Nacht.) Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.

  8
    Zwei Wochen waren sie auf dem Atlantik unterwegs. Die Überfahrt war für die beiden Schwestern die erste große Reise in einer langen Reihe von großen Reisen, die sie später, seitdem sie in New York wohnten, unternahmen. Sie flogen durch die ganze Welt und immer wieder nach Europa, zwei weltläufige Frauen, an denen

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