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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Rathgeb
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Hand gedrückt hatten, losgegangen war, um die Besorgungen für das Mittagessen zu erledigen, wiederholten die Schwestern die Neuigkeiten, die sie vernommen hatten, es waren nicht viele, aber genügend, um den Rest des Vormittags damit auszufüllen.
    Die Putzfrau kam wieder zurück, kochte und verabschiedete sich. Dann aßen die beiden alten Frauen zu Mittag, hielten ihren Nachmittagsschlaf, und schließlich saßen sie wieder auf dem Sofa im Wohnzimmer und versuchten sich, noch benommen und verträumt, in ihrer Welt zurechtzufinden. Der kurze Schlaf hatte sie aus den Geschichten, aus den Zusammenhängen gerissen.
    »Die Eltern besuchten uns nie«, begann Vika, »kein einziges Mal waren sie bei uns in New York, sie kamen nicht einmal auf die Idee, uns zu besuchen.«
    Unvorstellbar, dass sie zu uns nach New York geflogen wären, dachte sie. Was für ein Glück, dass sie nicht kamen. New York gehörte uns allein. Dort hatten die Eltern nichts zu suchen. New York war der Ort, wo die Eltern nicht waren, wohin sie nicht kamen.
    »Wir mussten sie besuchen«, sagte Ruth.
    »Jedes Jahr fuhren wir zu ihnen zurück.«
    Wir waren durch und durch brave Töchter, dachten sie. Wir flohen vor unseren Eltern in ein anderes Land, aber wir blieben trotz der achttausend Kilometer, die zwischen uns und ihnen waren, ihre braven Töchter. Auf den Mond hätten wir gehen müssen, um ihnen zu entgehen. Aber das trauten wir uns nicht. So frei konnten, so frei wollten wir nicht sein.
    »Wenn es Winter in New York wurde«, sagte Vika, »flogen wir für einige Wochen hierher und besuchten die Eltern. Brav wie wir waren. Fehlte nur noch, dass wir ein weißes Kleid angezogen hätten, um unsere Unschuld zu beweisen. Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Keine Männergeschichten.«
    »Ah non.«
    New York rettete uns, dachte Ruth. Aber New York war nicht stark genug, wir beide waren nicht stark genug, um dem Zugriff der Eltern zu entwischen. Als es so weit war und sie uns riefen, gingen wir zu ihnen zurück. Wenn wir geheiratet hätten, wären wir nicht zu ihnen zurückgeflogen. New York allein rettete uns nicht, aber New York und ein Ehemann hätten uns endgültig gerettet. Wir heirateten nicht, wir blieben ihre Töchter, wir wurden keine Ehefrauen, wir wurden keine Mütter. Nur wenn wir einen Mann und Kinder in New York gehabt hätten, wenn wir Mütter gewesen wären, hätten wir uns von den Eltern ein für alle Mal lossagen können. Aber wir wollten keinen Mann an unserer Seite haben, wir wollten keine Mütter werden, vor allem nicht in New York. Wir hatten erlebt, was es heißt, Mutter zu sein.
    »Du bist zuerst gegangen«, sagte Vika.
    Sie war die ältere, sie war die stärkere von uns beiden, dachte sie. Sie schlug die Bresche in die Dornenhecke, die uns umschloss. Ich kroch nur hinterher. Sie ging voran, und ich folgte ihr. Ich wechselte von der Seite der Eltern an die Seite der Schwester. Etwas anderes, etwas Eigenes kam mir nicht in den Sinn. Nie hatte ich den Wunsch, alleine zu leben oder mit einem Mann, einem Fremden. Wie gut zwei fremde Menschen sich auch kennenlernen, sie bleiben sich fremd. Ruth kannte mich von Anfang an, und ich kannte Ruth von Anfang an. Keinem Menschen war ich näher als ihr, keinen Menschen kannte ich besser als sie. Und auch für sie gab es keinen Menschen, dem sie näher war als mir und den sie besser kannte als mich. Ein Dritter hatte keine Chance. Dass wir beide zusammenblieben, lag auf der Hand.
    »Du kamst nach, sobald du nachkommen konntest«, sagte Ruth.
    Sie war die jüngere, sie war die schwächere von uns beiden, dachte sie. Ich zog sie hinter mir her. Alleine hätte ich auf Dauer nicht in der Fremde leben können. Ich wartete die ganze Zeit darauf, dass sie wieder an meiner Seite wäre. Wenn sie nicht zu mir nach New York gekommen wäre, ich weiß nicht, was ich gemacht hätte. Sie gab mir Wärme, Geborgenheit. Nie habe ich Wärme und Geborgenheit in den Armen eines Mannes, in den Armen eines Fremden, gesucht. Wie hätte ich sie dort suchen sollen, da ich sie doch bei ihr, die ich kannte wie keinen anderen Menschen, gefunden hatte. Wir wussten nichts von den Eltern, und wir fanden weder Wärme noch Geborgenheit bei ihnen.
    »Und dann hielt uns keiner mehr auf«, sagte Vika. »Als wäre ein Knoten geplatzt, ein Schloss gesprengt. Gereist sind wir.« Durch die ganze Welt, dachten sie. Wie im Rausch, um aufzuholen, was wir verpasst hatten. Wir glaubten, wir könnten das Leben, das uns davongeeilt war, einholen.

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