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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Rathgeb
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genommen.«
    » Das tat er nicht«, sagte Ruth. » Er kannte seine Pflichten.«
    » Er war ein Katholik«, sagte Vika.
    » Als Katholik ließ man sich nicht scheiden.«
    » Heute schon, aber damals ging das nicht so einfach«, sagte Vika.
    »Damals bedeutete die Ehe noch etwas«, sagte Ruth. »Man setzte den Segen der Kirche nicht aufs Spiel, nur weil man sich mit seiner Ehefrau nicht verstand.«
    » Lieber eine heimliche Geliebte als die Scheidung. Man hielt zusammen, in guten und in schlechten Tagen.«
    » Das Zusammenleben mit ihr muss schwer für ihn gewesen sein«, sagte Ruth. » Unvorstellbar, wie er das aushielt.«
    Zwanzig Jahre lebte er mit einer depressiven Frau zusammen, allein mit ihr in einem großen Haus, dachte sie. Wir hätten das nicht ausgehalten. Wir liefen rechtzeitig davon, wir hätten ihr sonst den Tod an den Hals gewünscht. Wir konnten sie nicht mehr sehen, wir konnten sie nicht mehr in unserer Nähe ertragen.
    » Auch Tante Frida war depressiv gewesen«, sagte Vika. » Die Depressionen lagen in der Familie.«
    Sie war an ihrem Leiden nicht schuld, sie konnte nichts dafür, dachten sie. Glücklicherweise sind wir nicht nach Mutter geraten. Wir schlagen mehr nach Vater aus. Sie wird gemerkt haben, dass wir mehr nach Vater kamen als nach ihr. Dass wir nicht auf ihrer Seite standen, dass wir anders waren als sie. Mutter war uns fremd, und wir waren ihr fremd. Sie war die Fremde in der Familie.
    »Ein Glück, dass wir nicht depressiv wurden«, sagte Vika.
    Sie lachten kurz auf.
    »Nach Idas Geburt wurde Tante Frida depressiv.«
    »Sie sagten, es ginge vorüber.«
    »So sagten sie«, sagte Ruth.
    Es ging nicht vorüber, dachten sie. Das Kind machte sie depressiv. Hätte sie kein Kind bekommen, wäre sie nicht depressiv geworden.
    »Später brachte sie sich um«, sagt Vika.
    Sie brachte sich nicht nur wegen des Kindes um, dachten sie.
    »Sie hielt das ganze Leben nicht mehr aus«, sagte Ruth.
    »Erst versteckte ihr Bruder sie im Keller vor den Nazis, dann brachte sie sich um.«
    »Sie war nicht nur depressiv, sie war auch leicht verrückt, sie wäre von den Nazis ermordet worden.«
    »Aber die Nazis fanden sie nicht«, sagte Vika. » Sie waren zu dumm dazu.«
    »Erhängt hat sie sich, noch während des Krieges«, sagte Ruth.
    »Im Winter 1940. Auf dem Dachboden des elterlichen Hauses.«
    Wir würden uns nicht erhängen, dachten sie. Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, gibt es keinen anderen Ausweg. Schlaftabletten sind besser als ein Strick. Nicht erschießen und nicht vergiften. Wie kämen wir zu einer Pistole? In unserem Appartement könnten wir uns nicht erhängen. Wo sollten wir uns erhängen? Am Fenstergriff? Die sind zu niedrig. Alte Frauen stürzen sich auch nicht aus dem Fenster. Zwei schreiende alte Frauen in der Luft, mit wehenden Röcken. Wer würde uns finden, in welchem Zustand, wie sähe das aus? In unserem Haus hat sich noch keiner umgebracht. Hier leben Millionäre, keine Selbstmörder. Nur wer verzweifelt ist, bringt sich um. Wir sind alt und müde, aber nicht verzweifelt. Noch haben wir uns.
    »Hans fiel im Krieg.«
    »In Russland. Vierunddreißig Jahre war er alt«, sagte Vika.
    In Russland sind wir nie gewesen, dachten sie. Was sollten wir in Russland machen, was hätten wir dort verloren. Wir lebten in New York, wir waren Amerikaner.
    » Die Welt war verrückt«, sagte Vika.
    Wir waren in Buenos Aires, wir waren in Sicherheit, dachten sie, wir waren weit weg von Deutschland, von Europa, dank dem Vater. Er bewahrte uns vor dem Krieg. Wir hatten Glück. Wir entwischten der Geschichte. Auch später hatten wir Glück und entwischten der Geschichte. Wir gingen rechtzeitig nach New York und kamen erst nach der Militärdiktatur wieder zurück. In New York waren wir in Sicherheit. Trotz des Kalten Krieges. New York war für uns der beste Platz auf der Erde. Für uns gab es keinen besseren. Wir waren für die Politik nicht gemacht. Man muss für die Politik gemacht sein, um auf die Straße zu gehen, so wie man für die Wirtschaft, für die Kunst, für eine eigene Familie gemacht sein muss. Wir waren für uns gemacht. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.
    »Ein Glück«, sagte Vika, »dass Vater so klug war und wegging. Mutter wäre in Deutschland geblieben.«
    »Vater rettete uns.«
    »Er wusste, was geschehen würde. Schon 1929. Er sagte, er hätte geahnt, dass die Nazis an die Macht kommen würden.«
    »Keiner in der Familie glaubte ihm«, sagte Ruth.
    »Er sagte den Eltern

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