Kein Schatten ohne Licht
bleiben.“
„ Wie kommst du darauf?“, fragte Melica stirnrunzelnd: „Sollte ich diese Entscheidung nicht selbst treffen dürfen?“
„ Ich werde nicht zulassen, dass Sie sich für so unbedeutende Menschen opfern“, antwortete Gregor scharf.
„ Wie schön, dass mich Ihre Meinung nicht interessiert“, erwiderte Melica im gleichen Tonfall und erhob sich von ihrem Stuhl. „Jetzt einmal ernsthaft, Gregor. Diana hat mir fünfzehn Stunden gegeben. Von diesen sind bereits drei verstrichen. Ich weiß zwar nicht, wo genau ich hin muss, aber ich könnte darauf wetten, dass es unendlich weit weg ist. Das heißt, dass wir für den Weg auch noch mit Sicherheit einige Stunden brauchen. Gregor, ich verstehe, dass Sie sich Sorgen um mich machen, aber die Entscheidung, ob ich dorthin fliege oder nicht, betrifft nur mich allein. Wir können jetzt noch gerne eine Weile diskutieren, aber weil sich das Ergebnis ohnehin nicht ändern würde und wir nicht sonderlich viel Zeit haben, schlage ich vor, dass wir das einfach ganz lassen.“
„ Dem gibt es nichts hinzuzufügen“, erklärte Isak mit einem leichten Grinsen und stand ebenfalls auf. „Tizian? Jane? Machen wir uns auf den Weg?“
Es geschah beileibe nicht oft, dass Melica wirklich stolz auf ihre Mutter war. Dies war einer dieser seltenen Momente, denn Jane nickte fast ohne ihr Gesicht zu verziehen und trat einen Schritt auf sie zu, ebenso wie Tizian. Bevor sie Gregors Büro allerdings verlassen konnten, glitt eine zögerliche Stimme durch den Raum. „Wartet!“
„ Sag bloß, du willst mitkommen?“ Die Fassungslosigkeit in Tizians Stimme spiegelte ziemlich genau wider, was in diesem Moment in Melica vor sich ging. Ihre Augen mussten riesig sein.
„ Mitkommen?“, wiederholte Jonathan erschrocken. „Nein! Aber ich... du irrst dich, Melica. Die Entscheidung, ob du fliegst oder nicht, betrifft auch mich. Ich bin dein Mentor, schon vergessen?“
„ Weniger vergessen als verdrängt“, murmelte Melica, bevor sie misstrauisch die Augen verengte. „Warum?“
„ Ich“, begann Jonathan langsam. Sein Blick huschte hinüber zu Gregor. Dann schluckte er schwer. „Ich kann dir das nicht erlauben.“
Während Melica für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich so etwas wie Erleichterung verspürte und sich dafür selbst am liebsten verprügeln würde, kreischte Yvonne empört auf. „Das kannst du doch nicht machen!“
„ Ich“, begann Jonathan erneut. „Doch. Natürlich kann ich das.“ Er sprang auf. „Melica wird nicht gehen. Das ist mein letztes Wort.“ Entschlossen und doch mit zitternden Beinen trabte er zur Tür.
Sein Plan, zu verschwinden, war gut. Was jedoch nichts daran änderte, dass er erbarmungslos zunichte gemacht wurde. Jonathan hatte die Tür noch nicht erreicht, da schlossen sich Tizians Finger schon um seinen Oberarm. Sie drückten fest zu, so fest, dass Jonathans Knie für einen Moment einknickten, bevor er sich brutal losriss, taumelte und gegen den Türrahmen stürzte. Ein lauter Schlag drang durch die kühle Luft, als sein Kopf auf das harte Holz prallte und eine kleine Delle zurückließ. Jonathan sah mehr erschrocken als wirklich verletzt aus, während er sich aufrappelte und mit einem letzten scheuen Blick aus dem Zimmer rannte.
Diejenigen, die zurückblieben, wussten nicht, was sie tun sollten. Fragende Blicke wurden gewechselt, Stirne verwirrt gerunzelt. Dazu, irgendetwas zu sagen, kam jedoch niemand, denn nur wenige Zeit später betrat Jaromir den Raum, ein entschuldigendes Lächeln auf den vollen Lippen.
„ Ich habe alles versucht, was ich konnte“, sagte er so leise, dass es kaum möglich war, ihn zu verstehen. „Doch nichts. Kein Lebenszeichen. Irgendwie muss er es geschafft haben, meinen Zugang zu ihm zu blockieren.“
Die Enttäuschung, die in diesem Augenblick in jedem von ihnen heranwuchs, machte die ohnehin schon gedrückte Stimmung unerträglich.
„ Wir haben keine Chance ohne ihn.“ Melica war sich bewusst, dass sie nur das ausgesprochen hatte, was ein jeder dachte. Weshalb es sie mehr als nur verwunderte, mit welcher Gereiztheit die anderen Schattenkrieger auf ihre Äußerung reagierten.
„ Dann sei doch gefälligst froh, dass Jonathan dich nicht mitkommen lässt!“, fuhr Yvonne sie an. „Was zur Hölle erwartest du eigentlich von uns? Damit das einmal klar ist: Tizian und die anderen Freiwilligen tun das nur für dich! Diana will dich, nicht uns! Ein bisschen Dankbarkeit wäre jetzt angebracht gewesen und
Weitere Kostenlose Bücher