Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Schatten ohne Licht

Kein Schatten ohne Licht

Titel: Kein Schatten ohne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Guenter
Vom Netzwerk:
wie Isak es tat, doch wenn ihr Gesichtsausdruck seinem auch nur ansatzweise ähnelte, dann blickte sie nicht sonderlich glücklich durch die Gegend. Und mit „nicht sonderlich glücklich“ meinte sie absolut nicht glücklich.
    „ Das ist nicht dein ernst, oder?“ Man sagte, die Hoffnung sterbe zuletzt. Ihre hatte nicht solches Durchhaltevermögen. Eiskalt fiel sie zu Boden und ließ Melica trostlos zurück. „Du bist so fies!“
    „ Ich weiß.“ Seinem lockeren Ton nach zu schließen, schien es ihm jedoch nicht sonderlich etwas auszumachen. „Na dann! Viel Spaß euch noch! Und danke nochmal!“ Und bevor sie auch nur ein Wort sagen konnten, verschwand er in der Dunkelheit.
    Sprachlos starrte Melica ihm nach. Ihre Gedanken rasten. Keiner von ihnen war jugendfrei. Mord, Blut, Schmerz. „So ein Arsch“, flüsterte sie dann.
    Irgendetwas hatte sie verpasst. Musste sie verpasst haben. Warum sonst sollte Isak plötzlich anfangen zu grinsen? Lachfalten tanzten Kreise um seine Augen. „Du willst mir ehrlich sagen, dass dir das erst jetzt aufgefallen ist? Dein Glaube an das Gute ist wirklich einzigartig.“
    „ Aber er schien nett zu sein!“
    Isaks Seufzen drang durch die undringlichen Tiefen der Nacht. Er sagte nichts. Stattdessen hielt er ihr mit einem schwachen Lächeln die Hand hin. „Wollen wir uns jetzt auf die Suche nach einem Hotel machen?“
    „ Wie? Fliegen wir nicht zurück?“
    „ Nicht mehr heute“, entgegnete Isak und gähnte herzhaft. „Dafür bin ich viel zu müde.“
    Dann verbrachte sie die Nacht ihres 18. Geburtstags eben in einem abgeschiedenen Hotel in einem abgeschiedenen Ort irgendwo im abgeschiedenen Irland. Besser konnte es doch gar nicht mehr kommen! Dass die einzige lebende Person, die mit ihr sprach, auch noch ihr Onkel war, machte das Ereignis erst recht perfekt. Hätte ihr vor einem Jahr jemand davon erzählt, hätte sie ihn ohne den geringsten Zweifel in eine Anstalt einweisen lassen. Ihr ganzes Leben lang war sie beliebt gewesen. Vor einem Jahr hatte auch nichts darauf hingedeutet, dass sich dies jemals ändern würde. Kopfschüttelnd folgte sie Isak über die breite Straße, die durch das Dorf führte.
    Ihr erster Eindruck war falsch gewesen. Glencolumbkille war gar nicht so winzig. Es bestand sogar aus mehreren Häusern. Aus mindestens zehn.
    Der Schmerz durchzuckte sie ganz plötzlich. Wie eine eiserne Klinge schoss er ihr in die Beine, den Bauch, die Arme und in die Brust, klang ab und kehrte zurück, noch stärker und ätzender. Ächzend fiel sie zu Boden, unverhohlene Verzweiflung stand in ihren Augen und in ihrem Herzen.
    Nur verschwommen nahm sie wahr, dass Isak neben ihr auf die Knie sank. „Mel?“ Seine Stimme trug die gleiche Angst wie ihr Verstand.
    „ Ich“, sie röchelte nur.
    „ Was zur Hölle hast du?“
    Sie antwortete nicht. Nicht nur, weil ihr die Kraft fehlte. Sondern schlicht und einfach, weil sie keine Ahnung hatte, wie sie seine Frage beantworten sollte.
    „ Du“, Erkenntnis schwang in diesem einen Wort mit, doch anstelle sich darüber zu freuen, schlug Melica nur erschöpft die Augen zu.
    Isaks Hände schlossen sich plötzlich wie eiserne Klammern um ihre Oberarme. „Sag mir, dass das nicht wahr ist!“
    Sie spürte, dass er sie schüttelte, fühlte den weichen, eiskalten Schnee, die Nässe, die sich mit jeder Sekunde tiefer in ihre Kleidung fraß. Melica hatte das Gefühl, als stiegen ihre Gedanken in einen Zug, einer nach dem anderen, vorsichtig und gesittet, in einen Zug, der sofort losfuhr und sich mit jedem Meter weiter von ihr entfernte.
    Die Dunkelheit um sie herum fraß sich immer tiefer in ihren Verstand. Traum wurde zur Wirklichkeit, Wirklichkeit zum Traum. Melica fühlte nichts, machte sich keine Sorgen. Träume waren schließlich immer schön.

~*~
    Irgendwann lichtete sich die Dunkelheit. Melica tauchte auf aus einer Welt, in der sie schwebte und fand sich wieder in einer Welt, in der sie auf dem unbequemen Boden lag. Sie spürte ihn mit jedem ihrer schmerzenden Knochen. Nicht wissend, wie viel Zeit vergangen war, ahnte sie, dass es viele Stunden gewesen sein mussten. Es bedeutete ihr nichts, denn sie fühlte sich wieder gut, zufrieden. Vollkommen losgelöst von der Qual, die sich gerade noch in jede Faser ihres Körpers geschlichen hatte. Ihre Augen hielt sie geschlossen.
    Dennoch durchzuckte mit einem Mal ein schwaches Bild ihren Verstand. Melica sah eine Frau. Graue Haare, in einen unordentlichen Knoten gestopft, verwaschene, mit

Weitere Kostenlose Bücher