Kein Schatten ohne Licht
schmalen Bach von der Stadt abgeschnitten wurden.
Das schwache Licht einer alten Straßenlaterne flackerte, als Melica an ihr vorbeihuschte. Das Blut rauschte laut und mächtig in ihren Ohren. Mit einem Mal wünschte sich Melica, sie hätte Jim nicht fortgeschickt.
Es geschah im Bruchteil einer Sekunde. Etwas Hartes donnerte gegen ihren Bauch und einen Moment später fand sich Melica fest an eine raue Häuserwand gepresst wieder.
Eine große, dunkle Gestalt drückte sie hart dagegen und hielt sie scheinbar mühelos gefangen. Melica wollte schreien, doch kaum hatte sie den Mund geöffnet, wurde ihr auch schon etwas Heißes auf das Gesicht gepresst. Angst flutete durch ihren Körper, nahm sie völlig gefangen.
„ Da bist du ja endlich.“ Diese Stimme hatte sie noch nie gehört. Sie hätte sich erinnert.
Die Hand auf ihrem Mund verhinderte eine Antwort. Stattdessen warf sie sich wild herum, stemmte sich mit ganzer Macht gegen ihren Angreifer. Er rührte sich nicht.
Dies war der Moment, in dem ihr Verstand komplett aussetzte. In ihrem Kopf gab es nur noch einen Gedanken, abgespielt und noch einmal wiederholt, wie ein ewiges Mantra. „Das passiert nicht wirklich – nicht mir!“
Melica wimmerte, schlug blind um sich, trat in alle Richtungen, drehte und wand sich, nicht bereit, kampflos aufzugeben. Doch sie hatte keine Chance. Die kräftige Gestalt schien völlig unbeeindruckt, als sie ihr eine Strähne aus dem Gesicht strich. Melica verstand nicht, wollte gar nicht verstehen, was gerade passierte! Tränen liefen sturzbachartig ihre Wangen hinab und vernebelten ihr die Sicht.
„ Du siehst nicht so aus, als würdest du dich darüber freuen, mich zu sehen.“
Warum sollte sie auch, wenn sie keine Ahnung hatte, wer der Mann war und was er von ihr wollte?
Endlich nahm er die Hand von ihrem Mund. Melica zögerte keine Sekunde. „Was wollen Sie? Geld? Mein Handy? Meine ganze Handtasche? Das ist überhaupt kein Problem! Ich gebe Ihnen alles, was Sie wollen! Freiwillig! Sie müssen es nur sa-“
Die Hand legte sich zurück auf ihren Mund und erstickte damit jeden Versuch, weiterzusprechen. „Jetzt verstehe ich, was Diana meinte.“
Melicas Verwirrung schaffte es nicht, ihre Angst zu überdecken. Ihr Verstand war wie leergefegt. Sie verstand nicht, wovon er sprach, wusste nicht, wer er war, hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was er wollte. Fürchten tat sie sich trotzdem.
Dann machte der Fremde mit einem Mal einen Schritt zurück, ließ sie los. Vollkommen verwirrt fiel Melica zu Boden. Heißer Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen, als ihre Knie auf den harten Asphalt trafen. Panisch robbte sie zurück und zuckte verwirrt zusammen, als sie mit ihrem Rücken gegen die kalte Wand stieß. Sie hob den Kopf, starrte verängstigt zu dem fremden Mann empor.
Zum ersten Mal hatte sie Zeit, ihn bewusst anzusehen. Ein nettes, unauffälliges Gesicht. Blond. Blauäugig. Nicht gerade der typische Kriminelle. Er erwiderte ihren Blick mit einem verwirrten Lächeln. „Sieht so aus, als müsste ich mich bei dir entschuldigen. Ich muss dich verwechselt haben.“
Melicas Angst fiel von ihr herab und knallte wie sie vor wenigen Augenblicken auf den harten Boden. „Das bemerkst du ja reichlich spät!“, zischte Melica wütend und rappelte sich mit einem zornerfüllten Blick auf. Wenn sie jemand fragen würde, ob sie durch ihre Wut davon ablenken wollte, dass sie gerade würdelos im Dreck gelegen hatte, würde sie dies ohne den geringsten Zweifel abstreiten. Die Wahrheit wäre es trotzdem. Finster klopfte sie sich den Schmutz von der Kleidung und rieb sich durchs Gesicht. Ein Glück, dass sie sich nicht schminkte. Ansonsten hätten ihre Tränen wohl dafür gesorgt, dass sie eine größere Ähnlichkeit mit einem Clown bekam, als es ihr lieb war.
„ Ich wollte dir keine Angst machen. Es tut mir wirklich leid.“ Ehrliches Bedauern schwang in seiner angenehmen Stimme mit.
Leider halfen ihr seine Schuldgefühle auch nicht weiter. „Das sollte es auch! Weißt du eigentlich, was für eine Angst ich hatte?“ Jetzt, wo keinerlei Gefahr mehr vom Fremden auszugehen schien, war Melica wie ausgewechselt. „Was war das überhaupt für eine bescheuerte Aktion?“
„ Ich dachte, du wärest eine Freundin von mir. Ungelogen! Meine Augen sind nicht so gut und ihr habt beide braune Haare.“ Er lächelte verlegen. Seine Hände zitterten leicht, als er eine dieser Brillen mit dem breiten Rahmen aus seiner Jeanstasche zog und sie sich auf
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