Kein Schatten ohne Licht
einschüchtert?“
Eine große Hand legte sich auf ihre Schulter. „Du übertreibst es gerade wieder ein bisschen. Komm, lass uns einfach gehen.“
Jim war ein solches Weichei. Sah er denn nicht, dass diese Frau kurz davor war, einzuknicken?
„ Jetzt nicht, Jim!“, raunte sie deshalb genervt. „Du untergräbst meine Autorität!“
„ Da gibt es keine Autorität, die er untergraben könnte“, teilte ihr die Einwohnermeldeamtsfrau mit einem hämischen Lächeln mit.
„ Wissen Sie was?“, knurrte Melica. „Sie sind selbst für eine Beamtin erstaunlich unhöflich. Ich werde mich über Sie beschweren!“
„ Jetzt wird mir das alles hier echt zu viel!“ Seltsamerweise kam dieser Ausruf nicht von der Frau, sondern von Melicas bestem Freund. Purer Verdruss stand auf seinem kantigen Gesicht, als er Melica hart am Oberarm packte und in Richtung Tür zog. „Lass die arme Frau doch endlich arbeiten, Mel! Sie kann doch auch nichts dafür, dass sie total inkompetent ist!“
Nur Jim schaffte es, sie zornig und zufrieden zugleich zu machen. Ein enttäuschtes Seufzen floh von Melicas Lippen. „Okay.“
Sie kamen jedoch nicht dazu, das Büro zu verlassen. „Sie heißen nicht zufällig Melica, oder?“
Es gab Menschen, die behaupteten, Angehörige einer südamerikanischen Ameisenart wären die reaktionsschnellsten Lebewesen der Welt, weil ihre Kiefer beim Beißen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 230kmh zuklappten. Hätten diese Menschen Melica jedoch in dieser Sekunde herumfahren sehen – sie hätten ihre Meinung schneller geändert, als die Ameise zubeißen konnte. „Wie kommen Sie darauf?“
Ein Ausdruck tiefster Zerrissenheit lag auf dem Gesicht der Frau. Aus irgendeinem Grund schien sie es zu bereuen, sie zurückgehalten zu haben. „Sie sind nicht die erste Person, die mich heute gebeten hat, die Adresse von jemandem herauszusuchen. Da war ein Mann. Nicht sonderlich groß, eher unauffällig. Er suchte nach einer Melica. Und Ihr Freund nannte Sie gerade „Mel“. Sogar ich, als inkompetente Person, kann eins und eins zusammenzählen.“
„ Jemand hat nach mir gefragt?“ Sie konnte es kaum glauben. Luzius suchte ebenfalls nach ihr. Wenn das kein Wink des Schicksals war, dann wusste sie auch nicht mehr weiter.
Die Frau lächelte sie verächtlich an. „Sie sind aber scharfsinnig.“
Es fiel Melica schwer, nicht auf diese Beleidigung einzugehen, doch sie schaffte es. „Haben Sie ihm meine Adresse gegeben?“
„ Nein. Selbstverständlich nicht. Er hatte genau wie Sie nur einen Vornamen. Und wie ich bereits erklärt habe, reicht dieses Wissen nicht aus. Allerdings muss ich anmerken, dass es mir bei ihm weitaus mehr leid getan hat, ihm nicht helfen zu können.“
Melicas Lächeln enthüllte ihre Zähne. „Dann geben Sie mir wenigstens jetzt seine Adresse. Ich meine, jetzt, wo Sie wissen, dass er wirklich gefunden werden will, spricht doch wohl nichts dagegen.“
„ Tatsächlich hat sich nichts geändert. Sie können noch immer nicht mehr als den Vornamen vorweisen. Und außerdem haben Sie keinerlei Beweise, dass der Mann tatsächlich dieser Luzius gewesen ist.“
„ Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein!“, knurrte Melica wütend.
„ Doch. Wenn Sie mich nun bitte endlich in Ruhe lassen würden. Andernfalls rufe ich wirklich die Polizei. Völlig egal, wessen Tochter Sie auch sind.“
Es gab Momente im Leben eines jeden Menschen, in denen man akzeptieren musste, dass man verloren hatte. Dass dies einer dieser Augenblicke war, wusste Melica genau. Trotzdem wehrte sie sich. „Das können Sie nicht machen!“
Jims Schnauben war so laut, dass Melicas Hände unwillkürlich zu ihren Ohren schossen.
„ Nein!“ Melica gelang es gerade einmal zu blinzeln, da schlossen sich seine Hände auch schon schraubstockartig um ihren Oberarm und zogen sie zurück. Es tat weh.
Dennoch schwieg sie. Wenn Jim sie schon würdelos aus diesem Büro schleifen musste, dann wollte sie dabei nicht wie ein kleines Baby vor sich hinjammern. Stattdessen streckte sie der Beamtin die Zunge raus. Erwachsen wie immer.
~*~
Jim ließ sie erst wieder los, als sie auf der überfüllten Straße standen. Harsch stieß er sie zurück. Dann baute er sich direkt vor ihr auf, das Gesicht vollkommen ausdruckslos, den Körper in einer Haltung, die unbändige Hitze und blanke Wut ausstrahlte. Ein Mann, unauffällig, den Hut tief ins Gesicht gezogen, ging an ihnen vorbei. Er streifte Jim nur, wohl niemand könnte von Absicht
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