Kein Schatten ohne Licht
zögerte.
„ Könntest du mir bitte den Zucker reichen, Melica?“
Verdammt. Ihr Plan war gescheitert, bevor sie überhaupt damit begonnen hatte, ihn zu realisieren.
„ Natürlich.“ Mit einem gezwungenen Lächeln schob sie ihrer Schwester den Zucker zu. „Habt ihr euch inzwischen eigentlich schon auf einen Hochzeitstermin geeinigt?“
Das Zuckerglas rutschte aus Livs Hand. Bevor es jedoch auf den Tisch aufschlagen konnte, fing Jonathan es in einer schnellen Bewegung auf. Ein leises Knirschen. Dann quollen einzelne Zuckerkristalle aus den feinen Spalten zwischen Jonathans Fingern. Roher Schmerz stand auf dessen Zügen, als er Liv einen langen Blick schenkte. „Pass das nächste Mal doch besser auf, ja Schatz?“ Dann öffnete er seine Faust und ließ mehrere schimmernde Scherben und den Rest des Zuckers herausfallen.
Melicas Augen waren mit Sicherheit mindestens so groß wie das eben zerbrochene Zuckerglas. Ihre Stirn runzelte sich von ganz allein, während ihr Blick ungläubig von den Splittern auf dem Tisch zu Jonathan glitt. „Du blutest ja gar nicht.“
„ Nein?“ Auch wenn Jonathan sich bemühte, überrascht zu klingen – er tat es nicht. Ganz und gar nicht. „Ich habe ziemlich feste Haut. Wahrscheinlich liegt es daran.“
Sollte sie das etwa überzeugen? Jonathan musste die Skepsis in ihren Augen sehen, doch allem Anschein nach entschied er sich dazu, sie zu ignorieren. „Um deine Frage zu beantworten: nein, wir wissen immer noch nicht, wann genau wir heiraten wollen. Wir haben alle Zeit der Welt.“
„ Wir haben uns, um ehrlich zu sein, auch noch nicht wirklich viele Gedanken darum gemacht“, pflichtete Liv ihm bei.
„ Wisst ihr, was richtig klasse wäre? So eine richtige Spätsommerhochzeit. Da scheint zwar noch die Sonne, aber es ist nicht so heiß, dass man-“
„ Melica-Mäuschen?“
Oh oh. Alarmglocken in der Größe von Honigmelonen taten ihr Bestes, um Melicas Kopf zum Einsturz zu bringen. Wenn ihre Mutter schon so begann, konnte nichts Gutes folgen.
„ Hm?“
„ Misch dich doch bitte nicht in Dinge ein, von denen du nichts verstehst“, erklärte Jane mit einem liebevollen Lächeln. „Liv ist diejenige, die heiratet. Solltest du jemals in die Verlegenheit kommen, einen Hochzeitstermin auszusuchen, darfst du dies auch ohne die Einmischung deiner Familie tun. Obwohl ich stark daran zweifele, dass dieser Tag jemals kommen wird.“
Jane erntete drei vollkommen unterschiedliche Arten von Blicken: einen entsetzten, einen verletzten und einen peinlich berührten. Man musste kein Genie sein, um sich sicher sein zu können, welcher Ausdruck zu welcher Person gehörte. „Mutter!“, zischte Liv laut.
„ Was? Es stimmt doch!“, rechtfertigte sich Jane. Wie immer schien sie sich keinerlei Schuld bewusst zu sein. „Jetzt tu doch nicht so, als wüsstest du nicht, dass ich recht habe! Deine Schwester wird niemals heiraten, solange sie sich mit solchem Gesindel wie diesem Jim abgibt!“
„ Jim ist gar nicht so-“
„ Nein? Ach, du brauchst deinen Satz gar nicht erst zu beenden. Mir ist von vorneherein klar, dass du dich irrst. Oder willst du etwa abstreiten, dass dein verdrehter Freund verhindert, dass sich auch nur ein vernünftiges männliches Wesen freiwillig in deine Nähe begibt?“
„ Das stimmt doch gar nicht!“, protestierte Melica mit hochroten Ohren. „Jim verhindert gar nichts!“
Ihre Mutter sah nicht überzeugt aus. „Wann hast du dich das letzte Mal mit einem normalen Jungen unterhalten?“
„ Wie spät ist es denn?“, entgegnete Melica finster.
„ 10 Minuten nach 4“, antwortete Jonathan bereitwillig.
„ Dann vor etwa 14 Stunden.“
„ Wie bitte?“ Solch unverhohlene Ungläubigkeit hatte sie noch nie in Janes Stimme vernommen.
„ Ich habe mich vor ungefähr 14 Stunden das letzte Mal mit einem normalen Jungen unterhalten“, wiederholte Melica deshalb.
„ Da war es zwei Uhr in der Früh“, sagte Jane scharf. „Was hast du um diese Uhrzeit mit irgendwelchen Männern zu schaffen?“
Melica war überrascht. Jane hatte gar nicht gewusst, dass sie so spät nach Hause gekommen war? Das erklärte zumindest, warum ihre Mutter sie nicht schon längst einen Kopf kürzer gemacht hatte.
„ Mutter“, murmelte Liv leise. „Bist du dir sicher, dass wir das jetzt besprechen müssen?“
Jede Faser ihres Herzens brüllte ein störrisches 'Ja!', allerdings ließ Livs Aussage Melica auch bewusst werden, dass sie einen Gast hatten. Und was auch immer
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