Kein Schatten ohne Licht
Schwester. Dieser hätte niemals so geredet. Nicht einmal in einer solchen Situation. „Du bist nicht Jonathan“, erkannte Melica verwirrt.
„ Du erkennst mich wirklich nicht?“, fragte er und ergriff mit beiden Händen ihre Oberarme. „Das ist kein blöder Scherz von dir oder Sweety?“
Hilflos zuckte Melica mit den Schultern. „Ich weiß wirklich nicht, wovon du sprichst. Ehrlich. Tut mir leid.“ Das tat es wirklich. Aus irgendeinem, ihr noch unbekannten, Grund schien sie den Fremden unglücklich zu machen. Und das war wirklich das Letzte, das sie wollte.
„ Was hat Gregor da denn wieder angestellt?“, murmelte er und ließ den Kopf hängen.
„ Gregor?“
„ Du erinnerst dich an Jonathan, aber nicht an Gregor oder mich?“
„ Was heißt erinnern? Ich habe Jonathan vor Kurzem noch gesehen! Dich aber noch nie! Und von einem Gregor habe ich überhaupt noch nichts gehört!“, sagte Melica. Mit jeder Minute, die sie sich in diesem Hotel befand, wuchs ihre Verwirrung. Irgendetwas war seltsam an diesem Gebäude, bizarr an diesen Menschen. Diana hatte von Anfang an das Gefühl vermittelt, als kenne sie sie schon von irgendwoher, Jareth hatte sie mit der Frage begrüßt, ob sie ihn noch wüsste, wer er war und nun dieser Mann... Sie runzelte die Stirn. Jetzt, wo sie genauer darüber nachdachte, fiel ihr auf, wie Luzius sich vor wenigen Tagen benommen hatte, als er sie zum ersten Mal getroffen hatte. „ Du siehst nicht so aus, als würdest du dich darüber freuen, mich zu sehen.“ Das war auch keine normale Feststellung, wenn man bedachte, dass er sie zum ersten Mal in seinem Leben getroffen hatte. Melica schnappte nach Luft, schluckte. „Was ist hier los?“, fragte sie dann verwirrt. „Warum kennt ihr mich denn alle? Und warum kenne ich euch nicht?“
Diana hatte sie belogen. Es musste einfach ihr Ziel sein, Melicas Verstand zu zerstören! Warum sonst sollte sie sie in dieses Zimmer und zu diesem Mann geschickt haben?
Der Mann ließ ein Lachen hören. Wahrscheinlich wollte er freundlich klingen, vielleicht sogar hoffnungsvoll, doch er versagte kläglich. „Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung“, antwortete er leise. „Shit, Kleine! Wie kommst du hier überhaupt her? Die anderen sollten doch darauf aufpassen, dass dich Luzius nicht in seine stinkenden Hände bekommt!“
Wer auch immer der Mann war – er schien nicht der hellste Stern am Horizont zu sein. Schließlich hatte sie doch schon mehr als deutlich gemacht, dass sie nicht wusste, wovon er sprach. Melica fühlte sich überfordert. „Ich... echt... ich weiß nicht, was du meinst... Gott, ich weiß doch noch nicht einmal, wie du heißt!“
„ Ich bin Tizian. Tizian Barkley. Jonathans Zwillingsbruder“, antwortete der Mann und überraschte Melica damit sogar in zweierlei Hinsicht.
„ Barkley?“, wiederholte sie. „So wie Jareth Barkley?“
Tizian entglitten alle Gesichtszüge. „Du erinnerst dich an Jareth aber nicht an mich?“
So langsam beschlich Melica das Gefühl, dass sie aneinander vorbeiredeten. „Nein, Tizian. Ich erinnere mich nicht an dich. Wie oft soll ich es dir denn noch sagen?“ Wahrscheinlich hörte man ihr an, wie sie sich fühlte – unsagbar genervt.
„ Sorry“, murmelte Tizian verlegen. „Ich bin nur ein wenig verwirrt.“
„ Das bin ich auch“, gab Melica zurück. Sie blickte sich kurz um, sah ein Bett und ließ sich ohne zu zögern auf die Bettkante sinken. „Was hältst du davon, wenn du mir erst einmal erzählst, warum du glaubst, mich zu kennen?“
Tizian ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Viel Zeit. Wenn Melica behaupten müsste, dass sie nervös wurde, dann würde sie lügen. Sie war viel mehr als nur nervös.
„ Wir sind uns das erste Mal vor ungefähr eineinhalb Jahren begegnet“, begann Tizian dann und lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Wand. „Das war im Schwarzwald, nur ein paar Meter von der Hütte deines Großvaters entfernt.“
Ein eiskalter Schauer lief Melica über den Rücken. „Ich bin seit Jahren schon nicht mehr im Schwarzwald gewesen“, widersprach sie unsicher.
Tizian lächelte traurig. „So weit reicht deine Gedächtnislücke also zurück“, sagte er. „Doch, Mel. Du bist dort gewesen. Dein Vater hat dich dorthin geschickt, in der Hoffnung, dass dieser dich endlich zu einem vernünftigen Wesen erzieht.“
Das klang tatsächlich nach Frank. Nur gab es in Tizians Rede ein Problem. „Papa ist seit mehr als zwei Jahren tot.“
„ Und wie erklärst du dir, dass
Weitere Kostenlose Bücher