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Kein Schatten ohne Licht

Kein Schatten ohne Licht

Titel: Kein Schatten ohne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Guenter
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ich vor ein paar Monaten noch mit ihm gesprochen habe?“, fragte Tizian leise.
    Obwohl Melica sicher stand, hatte sie von einer Sekunde auf die andere das Gefühl zu fallen. Sie blinzelte unsicher. „E-er lebt?“, stammelte sie ungläubig.
    Bestürzung breitete sich treibsandförmig auf Tizians Gesicht aus. „Nein. Tut mir leid, Sweety. Frank lebt nicht mehr. Doch er ist nicht vor zwei Jahren, sondern erst vor ein paar Monaten ums Leben gekommen.“
    „ Aber... aber... hä?“, Melica verstand einfach gar nichts mehr.
    „ Ich weiß nicht, warum du dich nicht erinnerst und du weißt das ja wahrscheinlich auch nicht, aber... ich denke, dass du informiert werden solltest. Dass du einfach informiert werden musst! Es ist gut, dass du schon sitzt“, sagte Tizian mit einem schwachen Lächeln. „Denn das, was ich dir nun alles zu erzählen habe, wird dir den Boden unter den Füßen wegziehen.“

~*~
    Tizian hatte sie belogen. Es war nicht so, dass der Boden unter ihren Füßen zusammengebrochen war. Und selbst wenn es dazu gekommen wäre – Melica wäre damit zurechtgekommen. Womit sie allerdings nicht zurechtkam, war die Tatsache, dass Tizian innerhalb von Minuten ihr gesamtes Leben zu einer Lüge deklariert hatte. Die Gegenwart und auch die Zukunft mochten grausam sein, doch zumindest hatte sich Melica ihrer Vergangenheit sicher sein können. Zumindest solange, bis Tizian seinen Hammer herausgeholt und solange auf ihr vergangenes Leben eingeprügelt hatte, bis nicht mehr von ihm übrig war als schmutziger, wertloser Staub.
    „ Nur, um es noch einmal zusammenzufassen“, sagte Melica, nachdem sie viele, viele Minuten auf dem fremden Bett gehockt und geistesabwesend in die Luft gestarrt hatte. „Mama ist eine Hexe. Genauso wie meine beiden Schwestern. Ich bin auch eine gewesen. Jetzt aber nicht mehr, weil ich meine Kräfte für Luzius Beschwörung geopfert habe. Nun bin ich nur noch ein Dämon. Und eine der drei Auserwählten. Welche Luzius vernichten müssen. Der zweite Auserwählte ist ein Dämon, der Dianas Mann Damian getötet hat. Und der mich in einen Dämon verwandelt hat. Der dritte Auserwählte ist mein Onkel Stefan. Der doch nicht tot, aber ein Dämon ist. Achja und Papa ist Dämonenjäger gewesen. Bis ihn Diana umgebracht hat. Ist das alles richtig?“
    Tizian lächelte unsicher. „Klingt doch gar nicht so schlimm, oder?“
    „ Ich wüsste nichts, was noch schlimmer klingen könnte“, gab Melica lakonisch zurück.
    „ Zumindest weinst du nicht. Oder streitest alles ab. Oder versuchst verzweifelt, witzig zu sein“, Tizian seufzte leise. „Das habe ich alles schon bei dir erlebt.“
    Melica lächelte schwach. Verzweifelte Versuche, witzig zu sein – so etwas passte zu ihr. Nun, zumindest glaubte sie, dass so etwas zu ihr passte. Sicher konnte sie sich darin ja auch nicht mehr sein. Sie kannte sich ja überhaupt nicht mehr. Wenn ein ganzes Jahr aus ihrem Gedächtnis gestrichen worden war – woher konnte sie noch wissen, wer sie war? Was wusste sie überhaupt noch? Was war Wahrheit, was Lüge?
    „ Aber du glaubst mir doch, oder?“, fragte Tizian unsicher. „Das ist jetzt nicht nur so eine Masche...“
    „ Nein, nein. Ich glaube dir.“ Natürlich tat sie das. Er kannte zu viele Details aus ihrem Leben, um das einfach nur wild zu erfinden. Außerdem war seine gesamte Geschichte viel zu krank und abgedreht gewesen, um seiner Fantasie zu entspringen. Niemand konnte so etwas erfinden. „Mein Problem ist viel eher, dass ich nicht glauben will, was ich glaube.“
    „ Du wirst dich schon daran gewöhnen, Kleine. Du bist stark.“
    Ein kurzer Stich, dicht unter Melicas Schädeldecke. Ein Gefühl der Vertrautheit. „Das sagst du mir nicht zum ersten Mal, oder?“, fragte sie leise.
    Ein breites Grinsen überzog Tizians Lippen. „Im letzten Jahr ist, glaube ich, kein Tag vergangen, an dem ich dir das nicht erzählt habe! Vor allem in den letzten Tagen, als du wie ein depressives Hühnchen durch die Gegend geschlichen bist, habe ich dir diese Worte förmlich nachgeworfen! Soll das heißen, dass du dich daran erinnerst?“
    „ Vielleicht. Ich bin mir nicht ganz sicher“, murmelte Melica und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Du hast mir aber noch nicht verraten, warum du überhaupt hier bist. Wie hat er dich geschnappt?“
    „ Er wollte meine beste Freundin. Ich habe mich eben für sie geopfert“, antwortete Tizian achselzuckend. „Keine große Sache eigentlich.“
    Oh oh. Ein wahrer Held also.

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