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Kein Schatten ohne Licht

Kein Schatten ohne Licht

Titel: Kein Schatten ohne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Guenter
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Ihre Neugier gehörte zu ihr wie der Stecken zum Pferd. Würde sie ihr nicht nachgehen, wäre es der schlimmste Verrat. Verrat an sich selbst, Verrat an ihrer Familie, Verrat an allen, die je an sie geglaubt hatten. Auf was wartete sie überhaupt noch?
    Der Weg durch das leerstehende Hotel war schnell zurückgelegt, Zimmer 610 problemlos gefunden. Trotzdem vergingen ganze Ewigkeiten, bis Melica den Mut gefunden hatte, auch ihre Finger um die goldene Klinke zu legen. Als sie es endlich tat, atmete sie tief ein. Ließ die Luft wieder aus ihren Lungen. Erst dann stieß sie die Tür auf, sachte, vorsichtig, so, dass sie jeden erdenklichen Augenblick zurückweichen konnte. Sie war nervös, Angst floss durch ihren Körper. Verbrannte sie. Weiter passierte nichts.
    Neugierig ließ Melica den Blick durch das Zimmer hinter der weit geöffneten Tür schweifen. Sie sah nicht viel, nicht mehr als einen schmalen Gang. Erleichterung trat auf ihre Züge und sie tat einen Schritt vor. Nun befand sie sich zwar in dem Zimmer, lebte aber noch immer. Offenbar wollte Diana sie doch nicht umbringen.
    „ Hallo?“, fragte sie zögerlich. Sie ging weiter, den langen Flur entlang, setzte dabei vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Ihre Atmung hatte sich inzwischen fast normalisiert. Was auch immer in diesem Zimmer auf sie wartete... es war schlau genug, sie erst einmal in Sicherheit zu wägen.
    „ Melica?“ Ganz plötzlich, Melica schaffte es nicht einmal zu blinzeln, stand ein Mann vor ihr. Nun, zumindest nahm sie ganz stark an, dass es sich bei dem Wesen vor ihr um einen Mann handelte, denn das Einzige, was sie im ersten Augenblick sehen konnte, war ein Bart. Ein blonder, wild umherwachsender Bart, der in alle Richtungen abstand und Melicas ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. So, dass sie erst nach einigen Sekunden bemerkte, dass der Mann sie gerade angesprochen hatte. Mit ihrem Namen.
    Schockiert riss sie den Kopf in die Höhe. „Woher weißt du, wie ich hei-“ Sie kam nicht dazu, ihre Frage zu beenden. Da war auf einmal Stoff, direkt vor ihrem Mund. Ein muskulöser Arm presste sie hart gegen einen breiten Oberkörper.
    Melica konnte sich nicht bewegen. Der Mann war einfach zu stark! Doch aus irgendeinem Grund dachte sie gar nicht daran, in Panik zu geraten. Stattdessen breitete sich eine seltsame Ruhe in ihr aus, eine Art Gelassenheit, die sie schon seit Tagen nicht mehr empfunden hatte. Obwohl sie diesen Mann nicht kannte, ertappte sie sich dabei, seine Umarmung zu erwidern. Ihr Entsetzen darüber hielt sich jedoch in Grenzen. Trotz seines gruseligen Aussehens war der Mann wohl kaum gefährlich – oder war es für verurteilte Straftäter seit Neuestem üblich, ihre Opfer erst zu umarmen und ihnen dann das Genick umzudrehen?
    „ Was machst du denn hier?“, fragte der Fremde leise, während er ihr behutsam über das Haar strich. „Hat er dich doch noch geschnappt?“
    Okay. So langsam wurde ihr das alles doch ein wenig zu vertraulich. Peinlich berührt wandte sich Melica aus den Armen des Mannes. Trat einen Schritt zurück. Erst dann wagte sie es erneut, den Mann anzublicken. Überraschung. Der Mann schien unter seinem Bart tatsächlich ein Gesicht zu haben! Ein ziemlich hübsches noch dazu, soviel konnte Melica noch erkennen.
    Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Melica brauchte eine Sekunde, um sich dessen bewusst zu werden. Eine Sekunde, um anzufangen, nachzudenken. Eine Sekunde, um ihre Vermutungen zu sortieren. Und eine Sekunde, um schockiert die Augen aufzureißen und einen weiteren Schritt zurückzutaumeln. „Du?“
    „ Ich?“, gab der Mann verwirrt zurück.
    „ D-du!“, stammelte Melica.
    Jonathan stieß ein schweres Seufzen aus. „Geht das alles schon wieder los?“
    Melica schüttelte ungläubig den Kopf, ließ den Verlobten ihrer Schwester dabei keine Sekunde aus den Augen. Dabei fielen ihr die unzähligen Details auf, die den Mann vor ihr von Jonathan unterschieden. Sie ignorierte sie jedoch gekonnt. Denn obwohl Jonathan viel längere Haare und keinen Bart hatte – diese Ähnlichkeit war mehr als nur verblüffend. „Was machst du denn hier, Jonathan?“, fragte sie deshalb.
    Der Mann vor ihr blickte ein wenig verstört. „Damn! Sag mal, erkennst du mich denn gar nicht?“
    „ Doch. Warum sonst sollte ich dich Jonathan nennen?“
    Bestürzung verdrängte die Verwirrung vom Gesicht des bärtigen Jonathans. „Fuck!“, murmelte er. „Scheiße verdammt!“
    Oh. Der Mann war tatsächlich nicht der Verlobte ihrer

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