Kein Schatten ohne Licht
den Rand des Wahnsinns.
„ Könnt ihr nicht ein einziges Mal versuchen, Dinge zu sagen, die ich verstehe?“, fragte sie verzweifelt.
„ Wir können nichts für deinen Zustand“, antwortete Diana kühl. „Ich sehe nicht ein, mich daran anzupassen.“
„ Mein Zustand“, wiederholte Melica ätzend. „Was soll das denn heißen? Ohne Witz, Diana! Wenn ihr so weitermacht, verliere ich noch meinen Verstand! Ist das euer Ziel? Wollt ihr, dass ich so verrückt werde, dass es mir nichts mehr ausmacht, ob ich Luzius heirate oder nicht? Wenn ja – Glückwunsch, ihr habt es fast geschafft! Ich bin dicht davor, überzuschnappen!“
„ Aber Prinzessin!“, erwiderte Diana kichernd. „Natürlich nicht! Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall. Dich Luzius heiraten zu sehen, ist das Letzte, was ich möchte. Doch du hast recht. Anfangs hatten Jareth und ich tatsächlich überlegt, dich verrückt zu machen! Doch eine verrückte Melica fände der verrückte Luzius wahrscheinlich noch anziehender als eine normale! Deshalb... wage es gar nicht erst, den Verstand zu verlieren!“
So etwas bekam man auch nicht alle Tage zu hören. Melica seufzte leise. „Luzius würde dich töten, wenn er dich in diesem Moment hören würde, nicht wahr?“
Dianas Lachen sollte vermutlich höhnisch klingen, doch der Versuch schlug fehl. Da war eine Verzweiflung, eine tief wütende Wut, die Melica so gar nicht mit der kühlen Frau in Verbindung bringen konnte. „Wie viel habe ich denn noch zu verlieren?“
Melica ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Nicht nur, weil ihr die Worte fehlten. Sondern auch, weil der Schmerz in Dianas Stimme sie irgendwie aus der Fassung brachte. „Wenn... ich... Warum... unterstützt du ihn überhaupt? Ich meine... warum willst du alle Menschen ausräuchern? Du bist doch selbst einer!“
Zumindest eines hatte sie mit ihrer Frage erreicht. Dianas Miene hellte sich auf. Die Trauer schwand. Machte einem Ausdruck des Spottes Platz. „Ach Prinzessin. Deine Naivität ist ja schon beinahe niedlich!“
„ Was soll das heißen?“, fragte Melica verständnislos.
„ Ich bin genauso wenig Mensch wie du es bist“, antwortete Diana bedeutungsschwer.
Das Problem war nur, dass Melica die Bedeutung nicht verstand. „Achso?“, fragte sie deshalb stirnrunzelnd.
Ihre Fragerei hatte insofern Erfolg, als dass sie nicht länger die Einzige in diesem Saal war, die verwirrt aussah. „Luzius hat dir nichts erzählt?“
„ Wovon erzählt?“, gab Melica im gleichen Tonfall zurück.
Diana sog scharf die Luft ein. „Heiliger-“ Sie brachte ihren Fluch nicht komplett über die Lippen, fing sich im letzten Moment. „Ich habe vielleicht nicht viel zu verlieren, aber so lebensmüde, dir das zu beantworten, bin ich auch nicht!“ Sie schüttelte den Kopf. „Himmel, Himmel, Himmel... was macht dieser Verrückte nur?“
Sie sprang auf, strich sich kurz durchs schwere, nahezu bodenlange Haar. „Ich hoffe, ich werde diese Entscheidung nicht bereuen müssen“, sagte sie dann und warf Melica einen kurzen, fast schon scheuen Blick zu. „Zimmer 610“, flüsterte sie und die Eindringlichkeit, mit der sie sprach, machte Melica mehr als nur nervös. „Zimmer 610. Vergiss das nicht!“
Luzius war klein und blond, Diana groß und dunkel, doch eine Gemeinsamkeit ließ sich nicht verleugnen. Beide hatten ein Faible für spektakuläre Abgänge.
Denn bevor Melica auch nur die Gelegenheit hatte, den Mund für eine Nachfrage zu öffnen, war Diana schon durch die gigantische Flügeltür gestürmt und verschwunden.
Sprachlos saß Melica dort. „Zimmer 610“, seufzte sie dann. Das versprach wirklich, interessant zu werden.
~*~
Ihr Kopf war ein Bahnhof. Unzählige Gedanken hatten ihn schon durchquert, waren angekommen und wieder verschwunden. Es herrschte ein ewiges Durcheinander, nichts war dort, wo es hingehörte, es gab Gewusel und Gedränge, alles, aber keine Ordnung. Melica hatte Thesen aufgestellt. Und sie wieder verworfen. Sie kam einfach nicht darauf, was dort in Zimmer 610 auf sie wartete.
Eine Falle? Es wäre das einzig Logische. Diana hatte sie seit der ersten Sekunde gehasst. Es machte keinen Sinn, dass sie ihr half. Und dennoch... irgendetwas in Melica hielt beinahe krankhaft an dem Gedanken fest, dass sie es bereuen würde, wenn sie das Zimmer nicht aufsuchte. Sie mochte vielleicht ängstlich sein, doch war Neugier zweifellos eine ihrer stärksten Charaktereigenschaften.
Melica rümpfte die Nase, erhob sich vom Stuhl.
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