Kein Schatten ohne Licht
erschreckend dunklen Augen und seine Stimme peitschte wie ein Donnergrollen auf Melica herab. Sie duckte sich rein intuitiv, konnte es gar nicht verhindern.
Ihr Verhalten kommentierte der Mann mit einem spöttischen Anheben der Mundwinkel. „Du hast doch nicht etwa Angst vor mir?“
Angst? War dieser Mann verrückt? Natürlich hatte sie Angst! Es wäre wahnsinnig, keine zu haben! Die Macht, die dieser Mann wie einen schweren Umhang dicht um sich trug, raubte ihr schlicht die Sinne. Nicht einmal Luzius hatte eine dermaßen extreme Wirkung auf sie!
„ Es gibt wichtigere Dinge als Angst“, sagte der Lockenkopf und warf seinem vermeintlichen Komplizen einen scharfen Blick zu. „Flirten könnt ihr auch noch, wenn wir sie hier rausgeschafft haben!“
Melica bewegte sich im freien Fall Richtung Abgrund. „F-flirten?“, wiederholte sie stammelnd. „Ich... ich... aber ich heirate Luzius!“
„ Das wirst du mit Sicherheit nicht tun!“, verkündete der dunkle Dämon dumpf. „Allerdings kannst du uns langsam verraten, wo sich dein geliebter Verlobter mome-“
„ Was meint ihr überhaupt mit „sie hier rausgeschafft haben“?“, sprach Melica weiter, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, den Fremden aussprechen zu lassen. „Wen wollt ihr wo rausschaffen? Mich? Das könnt ihr vergessen!“
„ Du möchtest allen Ernstes bleiben? Hier, bei dem Verrückten?“, fragte Lockenkopf ungläubig.
„ Luzius ist nicht verrückt! Er ist großartig, nett und liebevoll! Er liest mir-“
„ Dein Verlobter ist ein durchgeknallter Psychopath, Hexe!“, fiel ihr der Dunkle dreist ins Wort und fixierte sie eindringlich. „Es entzieht sich zwar völlig meiner Kenntnis, wie er dich so für sich einnehmen konnte, doch ich bin davon überzeugt, dass dein Gehirn nicht verschwunden ist! Zumindest noch nicht vollständig. Denk doch einmal nach! Bist du freiwillig hier in diesem abgehalfterten Hotel? Freiwillig bei ihm?“
Ihr erster Impuls befahl ihr, zustimmend zu nicken. Ihr zweiter Impuls tat dasselbe. Erst der dritte zwang sie dazu, nachzudenken. Sie wusste, dass die Antwort irgendwo steckte, irgendwo, ganz tief, in den hintersten Ecken ihres Verstandes. Unerwartet schnell fügten sich die Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammen. Melica war schockiert. Sie hatte nicht mehr als eine Sekunde gebraucht, um alles zu verstehen und trotzdem hatte sie tagelang neben und mit Luzius gelebt und jedes seiner Worte für bare Münze genommen? Doch vielleicht hatte sie gar nicht verstehen wollen...
Melica starrte die beiden Fremden entsetzt an: „Er hat mich mit irgendeinem seiner Zauber belegt, nicht wahr?“
„ Ich wusste doch, dass da noch ein Fünkchen an Verstand steckt!“, sagte der Dunkle hämisch, doch Melica fühlte sich von seinem Hohn nicht angegriffen. Ganz im Gegenteil. In Kombination zu dem warmen Glänzen, das sich in seine Augen geschlichen hatte, waren seine Wörter schon fast ein Kompliment.
„ Glaubst du uns?“, fragte Lockenkopf.
Melica riss ihre Aufmerksamkeit nur äußerst zögerlich vom Dunklen los. Er kam ihr wirklich bekannt vor... Sie blickte Lockenkopf kurz an, seufzte leise. Wie viele Beweise wollte sie denn noch haben? Luzius hatte sie entführt, verzaubert und belogen. Da gab es nichts dran zu rütteln. Sie wusste das. Doch ihr Herz streikte noch, weigerte sich mit letzter Kraft, einzusehen.
„ Ja doch. Ich glaube euch. Zumindest versuche ich, euch zu glauben.“
„ Darf ich daraus folgern, dass du uns dabei helfen wirst, ihn zu vernichten?“, fragte der Dunkle weiter, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.
Womit er Melica fast noch mehr aus dem Konzept brachte als mit seiner Frage an sich. Allerdings nur fast. Hätte Melica in der Sekunde irgendetwas getrunken, so hätte sie sich daran verschluckt und wäre gestorben.
„ Was?“, rief sie entsetzt. „Nein! Natürlich nicht! Ich liebe ihn!“
„ Nein, Melica“, sagte Lockenkopf seufzend. „Du liebst nicht Luzius. Du liebst ihn.“ Das letzte Wort sprach er seltsam aus. Mehr als seltsam eigentlich. Dass er dabei auch noch übertrieben in Richtung des Dunklen deutete, machte die Sache auch nur bedingt besser.
Melica wollte ihn auslachen, doch aus irgendeinem Grund wollten ihre Stimmbänder nicht gehorchen. Stattdessen drang etwas aus ihrem Mund, das wie eine verstörende Mischung aus Ächzen, Schnauben und Stöhnen klang.
„ Glaub mir, ich habe genauso entsetzt darauf reagiert wie du in diesem Moment“, versicherte
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