Kein Schlaf für Commissario Luciani
Venen zu finden, sie waren hervorragend in Schuss, er wählte, klassisch, den linken Arm und injizierte sich das Heroin bis zum letzten Tropfen. Er lächelte, ließ sich auf das Bett sinken, grub den Kopf ins Kissen und genoss seinen Samstagabend-Trip.
|174| Samstag
Luciani
Er hatte dreieinhalb Stunden durchgeschlafen, von zwei Uhr, der letzten Leerung der Mülltonnen an, bis zum Eintreffen des Zeitungs-LKWs. Von da ab war er langsam wieder an die Oberfläche gestiegen, in einem Dämmerzustand, aus dem er alle fünf Minuten geweckt wurde: von Stechmücken, Möwen, Autos, Motorrädern. Obwohl Samstag war, begannen gegen halb acht die Bauarbeiter zu klopfen, und sie wüteten bis Viertel nach acht, bis Marco Luciani sich geschlagen gab und, zerstört vor Müdigkeit, aufstand. Nach zwei Tassen Tee war er endlich einigermaßen bei Bewusstsein und stellte fest, dass die Schläge gerade jetzt verstummt waren. Er schaute aus dem Fenster und merkte erleichtert, dass sich der Himmel bewölkt hatte, so musste er zumindest nicht in der Sonne laufen.
Er zog T-Shirt und Shorts an und warf einen Blick auf die Akten, die noch genau da lagen, wo Iannece sie deponiert hatte: auf dem Küchenstuhl. Luciani hatte sie nicht angefasst, er hatte nur das Dossier mit den Aktualisierungen, das Calabrò ihm gegeben hatte, und das Bündel, das der Polizeichef in seine Tennistasche gesteckt hatte, daraufgelegt. Fickt euch doch alle ins Knie, dachte er, während er sich zu einer Langstreckeneinheit bei geringem Tempo aufmachte, der Einheit, für die in sämtlichen Trainingsplänen der Samstag oder Sonntag vorgesehen waren, als Abschluss einer Woche aus Tempoläufen, Tempowechselläufen und Bergsprints. Man ging davon aus, dass Hobbyläufer am Wochenende mehr Zeit hatten und eine volle Stunde, wenn nicht zwei, für die Langstrecke investieren konnten. Für den |175| Fast-Ex-Kommissar war der Samstag dagegen ein Tag wie jeder andere, eigentlich schlimmer als alle anderen, denn man musste länger in den Geschäften anstehen, es waren mehr Leute unterwegs, mehr Trunkenbolde, mehr Junkies, es gab mehr Prügeleien und mehr Lärm in der Nacht. Deshalb war er immer gerne samstags und sonntags auf die Dienststelle gegangen: um seine Ruhe zu haben.
Trotz der Wolken brütete die Hitze über der Stadt, und das Laufen an den Kais war kein Vergnügen. Ich müsste hoch in den Corso Italia, dachte er, und von da war es nur noch ein kleiner Schritt zu dem Gedanken, dort wirklich immer zu leben, im Corso Italia oder direkt am Meer, in Levante, und kleine Schritte machte er auch mit seinen Saucony-Schuhen. Sie hatten ein Vermögen gekostet, aber er lief seit über zwei Jahren darin, sie hatten sich seinem Fuß perfekt angepasst, wie ein Auto, das schon hundertfünfzigtausend Kilometer auf dem Tacho hat.
Außerhalb der Stadt leben, dachte er, ohne zu arbeiten. Den ganzen Tag Zeit haben zum Laufen, Tennisspielen, am Strand oder im Schwimmbad liegen, lesen und Sport schauen. Für viele ein Traum, für ihn eine realistische Option. Aber wenn er diese Erbschaft annehmen würde, dann würde er die Selbstachtung verlieren – für jemanden, der den Rest seines Lebens mit sich allein verbringen will, kein gutes Geschäft.
Er betrat den Discount-Markt gegen eins, weil er meinte, um diese Uhrzeit müsste er nicht Schlange stehen, und tatsächlich waren nicht viele Leute da, abgesehen von einer Gruppe Ecuadorianer, die sich auf die Bierstapel am Eingang gestürzt hatten und die Paletten in ihre Einkaufswagen umschichteten, als ob sie sie vor dem Bau eines neuen Nilstaudamms retten und an einen sicheren Ort verfrachten müssten, zum Beispiel vor die Commenda di Pré, wo sie bis |176| früh um fünf ihre ganz eigene Movida abziehen würden. Ansonsten waren fast nur Rentner da, die genau die Preise studierten, aber Luciani entdeckte auch einige Herrschaften der guten Genueser Gesellschaft, die so taten, als wären sie aus Versehen hier gelandet und würden nur deshalb etwas kaufen, weil sie halt schon mal da waren. Sie wählten vor allem Fruchtsäfte, Kartoffelchips und Pausensnacks für die Kinder aus, nach dem Motto: Kinder wollen sowieso nur Mist essen, da kann man auch das Billigste nehmen. Der Supermarkt machte insgesamt einen etwas schäbigen Eindruck, und in den Regalen fehlten die wohlvertrauten Marken. Die Waren hatte man ein bisschen aufs Geratewohl eingeräumt, ohne Rücksicht auf psychologische und soziologische Erkenntnisse, die für die Waren eine
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