Kein Sex ist auch keine Loesung
Umstände das Gefühl vermitteln, ein Held zu sein.
Bis Nadja zum Schluss sagt: «Tom, du bist echt ein Vollidiot.»
Da ich mich verständlicherweise zu diesem Vorwurf nicht weiter äußern möchte, vertagen wir die Therapiestunde und hocken uns
gemeinsam vor den Fernseher, um den Rest von
Desperate Housewives
zu gucken. Dazu bestellen wir etwas zu essen.
Vermutlich hat Nadja in ihrem ganzen Leben noch nie Pizza gegessen, denn nach einer halben Stunde gibt sie einen ganz und
gar nicht damenhaften Rülpser von sich, macht es sich auf der Couch bequem und schläft gleich darauf ein. Na ja, vorerst kann
sie dort liegen bleiben.
Am nächsten Morgen haben wir uns dann auch so weit wieder im Griff, dass wir beschließen, gemeinsam ihre Sachen aus Ronalds
Villa zu holen. Pah, ich wusste doch gleich, dass ein Mann mit diesem Namen nichts taugt.
Da die Katastrophe in meinem Leben nun kaum mehr zu toppen ist, schrecke ich auch nicht vor der Konfrontation |267| mit Ronald, dem Fremdvögler, zurück. Im Gegenteil. Soll er mich doch wegen unerlaubten Eindringens in sein Haus krankenhausreif
schlagen. Vielleicht würde Elisa wenigstens dann teilnahmsvoll am Fuße meines Bettes weinen. Wer weiß.
Also machen Nadja und ich uns auf zu unserem Besuch auf der teuren Seite der Alster, wo ihr Ex sein Liebesnest hegt. Zugegeben,
ein bisschen Schiss habe ich doch, schließlich ist der Kerl Rechtsanwalt. Und so gut ich mir auch Elisa tränenüberströmt an
meinem Krankenbett vorstellen kann – für einen Besuch im Gefängnis fehlt ihr vermutlich das Bonnie-&-Clyde-Gen.
Nadja macht jedenfalls den Eindruck, als würde sie ohne mich größeren Schaden anrichten, deshalb bleibe ich tapfer an ihrer
Seite und versuche, den Gedanken an meine bevorstehende Inhaftierung zu verdrängen.
Ronalds Wohnung haut mich endgültig um. Der Kerl hat offensichtlich mehr Geschmack als Verstand. Alles in seiner Wohnung ist
in einem perfekten Stil-Mix aus modernen Designerstücken und – das muss ich neidvoll eingestehen – außergewöhnlichen Antiquitäten
eingerichtet. Nicht auszuschließen, dass die Dame, mit der Nadja ihn im Gründerzeit-Bett erwischt hat, seine Innenarchitektin
ist.
Ich folge Nadja ins Schlafzimmer, das aus einem Bett und etwa fünfundzwanzig Schranktüren besteht. Erst auf den zweiten Blick
erkenne ich die aus der Decke absenkbare Leinwand und den hinter dem Bett in die Wand eingebauten Videobeamer.
Das «Konzept Kohle» findet sich scheinbar in allen Räumen wieder – das nenne ich konsequent! Und derweil |268| Nadja zielstrebig die Schranktüren öffnet, Klamotten rausreißt und wütend aufs Bett wirft, gehe ich neugierig weiter ins angrenzende
Badezimmer.
Der Fußboden ist in antikem Marmor gefliest, die Wände rau und unverputzt und die Einrichtung auch hier nur vom Feinsten.
Wie Ronald wohl gucken würde, wenn ich bei seiner Rückkehr mit Nadja in der Badewanne liegen und ihm mit einem Gläschen Champagner
fröhlich zuprosten würde?
Während ich noch überlege, ob ich Nadja wohl meinen Vorschlag unterbreiten soll, ruft sie auch schon: «Fertig! Kannst du vielleicht
die Tasche nehmen?»
Ich gehe zurück ins Schlafzimmer, wo Nadja gerade dabei ist, den Reißverschluss einer Reisetasche zuzuziehen, in der vermutlich
auch eine serbische Hochzeitsgesellschaft bequem Platz gefunden hätte. Und dies, behauptet sie kess, sei nur ein verschwindend
kleiner Teil ihrer Garderobe.
Schweigend schnappe ich das lederne Ungetüm und schleppe es in Richtung Haustür.
Nadja stolziert erhobenen Hauptes voraus, sodass ich mir vorkomme, als sei ich ihr ergebener Butler und nicht ihr vollkommen
verrückter Freund. Aber da dies vermutlich Nadjas Art ist, ihre wahren Gefühle zu verstecken, füge ich mich kommentarlos in
die Angestelltenrolle. Nur einmal zucke ich leicht zusammen, als sie nämlich Ronalds Haustürschlüssel auf den viermal lackierten
Nussbaum-Esstisch knallt. (Geiles Teil – mir war er zu teuer.) Na ja, jetzt hat er jedenfalls einen fiesen Kratzer, trotz
der vier Lackierungen.
In einer Obstschale liegt die Post, und nachdem Nadja sie sorgfältig durchgegangen ist, nimmt sie eine künstlerisch |269| gestaltete Einladung, deren Wortlaut sie mir später im Auto vorliest:
Eröffnung der Galerie Jamila
Junge Künstler stellen aus
6. Dezember
18 Uhr 30
Wie originell, am Nikolaustag, denke ich und blicke zu Nadja, die, im Beifahrersitz versunken, auf der Unterlippe kaut.
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