Kein Sex ist auch keine Loesung
am Fenster, von dem aus man dem hektischen Gewühl derer zusehen kann, die offenbar noch Menschen
zum Beschenken und zum Feiern haben. Vielleicht sollte ich dieses Jahr mal eine Singlereise ausprobieren? Nein, die sind bestimmt
schon ausgebucht. Mit meinem Pech wäre vermutlich nur noch ein Platz zwischen Lesbenpärchen bei der «Schrotkur auf Gomera»
frei. Mit viel Glück kann ich vielleicht noch wechseln zu «Ganzheitlich kochen nach den Mondphasen». Bestimmt sehr gesund.
Vielleicht würden sich Vince und seine junge Familie auch zu einer Mitleidseinladung hinreißen lassen, aber danke – da muss
ich passen. Trautes Heim, Glück zu dreien ist momentan das Letzte, wonach mir der Sinn steht. Und Nadja bucht vermutlich St.
Moritz, um mit ihrem Rechtsanwalt (Ronald! Pah!) Ski zu fahren.
Im Grunde kann ich mich glücklich schätzen, bin ich doch der Einzige, der auf niemand Rücksicht nehmen muss, eine Menge Geld
spart (jedenfalls wenn ich Schrotkur und Whisky-Cola sausenlasse, schließlich bin ich bald Hartz-I V-Empfänger ) und sich nicht das Hirn über ausgefallene Geschenkideen zermartern muss.
Wenn ich es recht betrachte, befinde ich mich sogar in geradezu beneidenswerter Lage.
«Na, dann schieß mal los, siehst ja nicht gerade aus wie der Erfinder des Rundum-sorglos-Pakets.»
Ach ja. Da war ja
noch
was.
Rolf bestellt für uns beide Frühstück und blinzelt gleich |258| darauf einer einsamen Dame mit Hund zu, die sich am Nebentisch niederlässt.
«Wieso?» Hat er am Ende doch schon was spitzgekriegt? So viel Raffinesse traue ich ihm allerdings gar nicht zu. Trotzdem heißt
es aufpassen. Schließlich kann ich ihm schlecht verklickern, dass ich noch vor zwei Stunden mit unserer lukrativsten Kundin
im Bett war, mein Leben aber hauptsächlich deshalb als verwirkt ansehe, weil ich wegen einer anderen Frau Liebeskummer habe.
Danach würde vermutlich
er
den Zuspruch brauchen.
«Mein lieber Tom, ich bin schon dreißig Jahre in diesem Job. Die Zeiten sind zu stressig, als dass Mitarbeiter freiwillig
und unentgeltlich am Wochenende zur Arbeit kommen. Dafür gibt es meist andere Gründe. Also, was ist los?»
Alaaaarm! Während Rolf der Dame am Nachbartisch den Mantel aufhebt, der ihr über die Stuhllehne gerutscht war, überlege ich
mir fieberhaft eine abgespeckte Version der unglücklichen Ereignisse.
Rolf blickt mich fragend an.
«Na ja. Also, äh …», beginne ich stotternd die Geschichte zu erzählen, die mich spätestens morgen meinen Job kosten wird. Trotzdem wandele
ich sie dahingehend ab, dass ich Lydia durch eine pummelige, psychisch kranke Supermarktbekanntschaft ersetze, die aufgrund
ihres extremen Minderwertigkeitskomplexes dringend einer Aufmunterung für ihr gestraucheltes Ego bedurfte. Und Elisa lasse
ich der Einfachheit halber ganz raus.
Rolf hört sich den Schwachsinn aufmerksam an, sagt eine ganze Weile gar nichts, sondern beobachtet nur abwechselnd mich und
den Hund unserer Tischnachbarin, |259| der sich an einem Brownie zu schaffen macht. Nachdem ich kurz annehmen muss, Rolf zählt nun zwei und zwei zusammen und formuliert
im Geiste bereits meine Kündigung, meldet er sich in erstaunlich ruhigem Tonfall zu Wort.
«Weißt du», sagt er nachdenklich, «ich finde, du hast dir nichts vorzuwerfen.»
Er nickt der Hundebesitzerin zu, als diese sich erhebt, und ich frage mich, ob er wohl auch nebenbei eine Affäre pflegt.
«Schließlich hast du dieser Person gezeigt, dass sie sehr wohl begehrenswert ist …» (Ich denke an Lydia) «… und ihre Selbstzweifel unbegründet sind. Sofern du ihr also keine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft gemacht hast …» (Ich denke an Urs) «… brauchst du keine Gewissensbisse zu haben.» (Ich denke an Elisa) «Und der Rest wird sich sicher auch bald wieder einrenken …» (Ich denke an den Etat) «Da bin ich ganz sicher.»
Harrrrr.
Ich sag’s ja: Er kann mir auch nicht helfen. Und jetzt habe ich auch noch offiziell meinen Chef belogen.
Aber die Talsohle ist noch nicht erreicht. Erst als ich am Abend zu Hause den Anrufbeantworter abhöre, glaube ich, ganz unten
angekommen zu sein.
«Hallo, Tom, hier ist Jennifer – die Stewardess», flötet es fröhlich vom Band. «Ich muss zwar gerade nicht getröstet werden,
aber ich hätte noch ein paar andere Ideen, was wir zusammen tun könnten. Just call me!»
Sicher nicht die Art von Nachricht, die Elisa zu einem milderen Urteil über die Geschehnisse des
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