Kein Sex ist auch keine Loesung
um seine Machtstellung zu demonstrieren, und redet dann aufgeregt weiter – ähnlich wie
Hans Moser im Hotel Sacher, der sich bekanntlich ebenfalls ständig von einem Nervenzusammenbruch zum nächsten hangelte, «… könnten wir Besuche dieser Art nicht dulden. Wir sind eines der ersten Häuser am Platz und haben einen Ruf zu verlieren.»
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, schaut er noch einmal prüfend an ihr herunter wie ein Änderungsschneider, der sein
fertiges Werk betrachtet. Schließlich beendet er die Begutachtung mit einem eisigen Blick in ihre Augen.
Die Dame blickt sich hilfesuchend um, sodass ich mir gerade noch eine Tageszeitung aus einem Zeitungsständer |291| schnappen, hinter ihr in Deckung gehen und mich dort einem Nervenzusammenbruch hingeben kann.
Das Maß an Katastrophen, das ein menschliches Individuum mittleren Alters, normaler Statur und durchschnittlicher Intelligenz
(vielleicht etwas mehr) in einem Monat ertragen kann, ist hiermit überschritten. Würden in diesem Moment männliche Testpersonen
gesucht für das weitgehend unerforschte Thema: Wie viel Liter intravenös verabreichten Nagellack verträgt eine 3 1-jährige , bis dahin gesunde, männliche Testperson – ich hätte mich spontan zur Verfügung gestellt.
Die Dame im Leopardenaufzug, die jetzt den Eindruck erweckt, sie würde gleich, wie Emma Peel, ihren Regenschirm und ihr rechtes
Bein im Parallelschwung auf den Portier niedersausen lassen, ist – wie sollte es anders sein – meine Mutter!
Und als wäre das an sich nicht schon grauenhaft genug, tritt in diesem Moment auch noch Elisa aus dem Fahrstuhl der hoteleigenen
Tiefgarage und steuert, ohne es zu wissen, mein billiges Zeitungsversteck an.
Zu diesem Zeitpunkt gefühltes Infarktrisiko: hoch. Sehr hoch sogar. Vermutlich 85 Prozent.
Als Nächstes erscheint ein Kerl (Mitte fünfzig, Typ Old Shatterhand) mit Cowboyhut und langen Koteletten auf der Bildfläche.
Genau genommen geht er auf meine Mutter zu, und die beiden küssen sich, wie Chirac und Putin, jeweils links und rechts aufs
Ohr.
In der Zwischenzeit ist Elisa, ohne mich zu bemerken, durch die Lobby vorbeigeeilt, und ich beschließe, ihr unauffällig zu
folgen.
Im Schutz der Schlagzeile «Lässt Jürgen Drews seine |292| Mutter entmündigen?» pirsche ich lautlos hinter ihr her. Trotz meines brennenden Wunsches, der Situation ein schnelles, unmissverständliches
Ende zu bereiten (Top 1: graumeliertem Typen und Portier eins in die Fresse schlagen, Top 2: Mutter nach Hause schicken),
finde ich es wichtiger, diesmal keinen freakigen Eindruck bei Elisa zu hinterlassen. Sicher käme es nicht so gut, wenn ich
ihr erklären müsste, dass meine Mutter gerade im Begriff ist, sich als Edelnutte an verwilderte Hotelgäste zu verdingen, um
damit ihr Gehalt aufzubessern. Ich bin so in Gedanken versunken, dass es eine Weile dauert, bis ich die erbosten Rufe hinter
mir registriere.
«Hey, junger Mann! Hallo! Legen Sie sofort die Zeitung wieder hin! Die ist für unsere Gäste reserviert!»
Ja, Sie haben richtig geraten.
Old Shatterhand, der Portier, meine Mutter und auch Elisa starren mich nun an, als wäre ich im Begriff, die Mona Lisa mit
Fingerfarben zu beschmieren.
«Äh … ach so, ja. ’tschuldigung», murmele ich, ohne meine Mutter aus den Augen zu lassen, die offensichtlich genauso vorhat, mich
zu verleugnen wie ich sie. Soll sie ruhig merken, dass ich in keiner Weise tolerieren werde, was sich hier abzuspielen scheint.
Die eigene Mutter eine Nutte! Eine Offenbarung, mit der umzugehen einen das Leben nicht lehrt. Dennoch scheint mir dies ein
eindeutiges Indiz dafür, nun endlich auf dem Gipfel meiner Pechsträhne angelangt zu sein. Ansonsten werde ich mich freiwillig
zur Adoption melden.
Eine Weile sagt keiner ein Wort, doch mit jeder Sekunde des Herumstehens erscheint es mir wahrscheinlicher, dass Elisa nun
gleich eine Erklärung von mir verlangen wird.
|293| Frauen sind schließlich nicht nur extrem neugierig, sie haben auch noch einen untrüglichen Riecher für Geheimnisse und Katastrophen
– erst recht für geheimzuhaltende Katastrophen.
Während ich immer noch unentschlossen herumstehe und versuche, mich in Luft aufzulösen, ohne dabei die Augen von meiner Mutter
abzuwenden, verhandelt Old Shatterhand leise mit dem Portier. Der muss es ja wohl verdammt nötig haben, dass er seinen bis
hierhin eventuell noch vorhandenen guten Ruf in den Wind
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