Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
nicht, aber schließlich hat sie mich machen lassen.«
»Ihr habt die Leiche weggeschafft«, sagte ich.
Er nickte. »Ich kannte Gonzales. Der Drecksack hatte ein erfülltes Verbrecherleben vor sich. Ich kenne diese Sorte gut genug, um das sagen zu können. Er war gerade wegen eines Formfehlers von einer Mordanklage freigesprochen worden. Man hätte keinen Besseren finden können, um ihm die Sache anzuhängen.«
Ich sah immer klarer. »Aber das hat Elizabeth nicht zugelassen.«
»Das hatte ich auch nicht erwartet«, sagte er. »Aber sie hat in den Nachrichten von der Verhaftung gehört und sich entschlossen, ihm dieses Alibi zu verschaffen. Um Gonzales …«, er zeichnete mit den Fingern sarkastische Gänsefüßchen in die Luft, »… vor einem schweren Justizirrtum zu schützen.« Er schüttelte den Kopf. »Alles für die Katz. Wenn sie dem Scheißkerl einfach die Schuld in die Schuhe geschoben hätte, wäre die ganze Geschichte längst vergessen.«
Ich sagte: »Und Scopes Leute haben rausgekriegt, dass sie das Alibi erfunden hat.«
»Ja. Muss ihnen irgendein Insider gesteckt haben. Daraufhin haben sie ihre eigenen Leute losgeschickt, und die sind dann dahinter gekommen, dass sie Brandon auf der Spur war. Damit war alles ziemlich klar.«
»An diesem Abend am See«, sagte ich, »ging es also um Rache.«
Er dachte nach. »Zum Teil schon. Zum Teil ging es aber auch darum, die Wahrheit über Brandon Scope zu vertuschen. Er war als Held gestorben. Seinem Vater lag viel an diesem Vermächtnis.«
Genau wie meiner Schwester, dachte ich.
»Ich begreife immer noch nicht, warum sie das Zeug in einem Schließfach aufbewahrt hat«, grübelte ich.
»Beweismaterial«, sagte er.
»Wofür?«
»Dafür, dass sie Brandon Scope umgebracht hat. Und dafür, dass es Notwehr war. Egal, was sonst noch geschah, Elizabeth wollte nicht, dass jemand anderes die Schuld an ihrer Tat bekam. Ziemlich naiv, findest du nicht auch?«
Nein, fand ich nicht. Ich saß einfach da und versuchte, die Wahrheit sacken zu lassen. Es ging nicht. Zumindest noch nicht. Weil es nicht die volle Wahrheit war. Das wusste ich besser als jeder andere. Ich sah meinen Schwiegervater an, die erschlaffende Haut, das dünner werdende Haar, der hängende Bauch, der noch beeindruckende, aber immer kraftlosere Körper. Hoyt dachte, er wüsste, was wirklich mit seiner Tochter geschehen war. Und er hatte keine Ahnung, wie falsch er damit lag.
Es donnerte. Regen trommelte wie kleine Fäuste an die Fenster.
»Du hättest es mir sagen können«, meinte ich.
»Und was hättest du getan, Beck? Wärst du ihr gefolgt? Wärt ihr zusammen geflohen? Sie hätten die Wahrheit herausbekommen und uns alle umgebracht. Sie haben dich beobachtet. Das tun sie immer noch. Wir haben es niemandem erzählt. Nicht einmal Elizabeths Mutter. Und wenn du noch einen Beweis dafür brauchst, dass wir das Richtige getan haben, sieh dich einfach um. Es ist acht Jahre her. Sie hat dir bloß ein paar anonyme E-Mails geschickt. Und jetzt schau dich um.«
Eine Autotür wurde zugeschlagen. Hoyt sprang wie eine Raubkatze zum Fenster. Wieder spähte er hinaus. »Der Wagen, in dem du gekommen bist. Mit zwei Schwarzen.«
»Sie kommen meinetwegen.«
»Bist du sicher, dass die nicht für Scope arbeiten?«
»Hundertprozentig.« Wie aufs Stichwort klingelte mein neues Handy. Ich ging ran.
»Alles okay?«, fragte Tyrese.
»Ja.«
»Kommen Sie raus.«
»Warum?«
»Trauen Sie dem Cop?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Kommen Sie raus.«
Ich erklärte Hoyt, dass ich gehen musste. Er war so ausgelaugt, dass es ihm egal zu sein schien. Ich nahm die Glock und hastete zur Tür. Tyrese und Brutus warteten auf mich. Der Regen hatte etwas nachgelassen, doch das war uns allen egal.
»Ein Anruf für Sie. Gehen Sie da rüber.«
»Warum?«
»Privat«, sagte Tyrese. »Ich will das nicht hören.«
»Ich vertraue Ihnen.«
»Tun Sie einfach, was ich Ihnen sage, Mann.«
Ich ging außer Hörweite. Ich sah, wie die Jalousie hinter mir ein wenig zur Seite geschoben wurde. Hoyt spähte heraus. Ich sah Tyrese an. Er gestikulierte, dass ich das Telefon ans Ohr halten sollte. Das tat ich.
Dann sagte Tyrese: »Leitung steht, fangt an.«
Als Nächstes hörte ich Shaunas Stimme. »Ich habe sie gesehen.«
Ich stand ganz still da.
»Sie hat gesagt, dass du sie heute Abend am Dolphin treffen sollst.«
Ich verstand. Die Leitung wurde unterbrochen. Ich ging zurück zu Tyrese und Brutus. »Ich muss nachher allein an einen
Weitere Kostenlose Bücher