Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
gefressen.
»Es war ein schwerer Zusammenstoß«, erklärte ich.
»Wann?«
»Das kann ich nicht ganz genau sagen. Ungefähr drei, vier Monate vor …«, ich stockte einen Augenblick lang, »… vor ihrem Tod.«
»War sie im Krankenhaus?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Sie glauben nicht?«
»Ich war nicht da.«
»Wo waren Sie?«
»Ich war auf einem Pädiatrie-Workshop in Chicago. Sie hat mir erst von dem Unfall erzählt, als ich wieder zurück war.«
»Wie lange danach war das?«
»Nach dem Unfall?«
»Ja, Doc, nach dem Unfall.«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht zwei, drei Tage.«
»Waren Sie damals schon lange verheiratet?«
»Nein, erst ein paar Monate.«
»Warum hat sie es Ihnen nicht sofort erzählt?«
»Das hat sie doch. Ich meine, sofort, als ich wieder zu Hause war. Ich glaube, sie wollte mich nicht beunruhigen.«
»Verstehe«, sagte Carlson. Er sah Stone an. Sie gaben sich keine Mühe, ihre Skepsis zu verbergen. »Dann haben Sie wohl diese Fotos gemacht, Doc?«
»Nein«, sagte ich. Noch im selben Moment wünschte ich, ich hätte den Mund gehalten. Wieder sahen sie sich an. Sie hatten Blut gerochen. Carlson legte den Kopf auf die Seite und rückte näher an mich heran.
»Haben Sie diese Bilder je zuvor gesehen?«
Ich sagte nichts. Sie warteten. Ich dachte über die Frage nach. Die Antwort lautete Nein, aber … woher hatten sie diese Fotos? Warum wusste ich nichts davon? Wer hatte sie gemacht? Ich betrachtete ihre Gesichter, konnte ihnen jedoch nichts entnehmen.
Es ist ziemlich erstaunlich, aber wenn man einmal darüber nachdenkt, wird einem bewusst, dass wir die wichtigsten Dinge unseres Lebens aus dem Fernsehen erfahren. Mit Abstand der größte Teil unseres Wissen über Vernehmungen, das Recht zu schweigen, sich nicht selbst zu belasten, Kreuzverhöre, Zeugenlisten und Geschworenengerichte haben wir aus NYPD Blue und Law & Order und ähnlichen Serien. Wenn ich Ihnen in diesem Augenblick eine Pistole zuwerfen und Sie auffordern würde, sie abzufeuern, würden Sie das nachmachen, was Sie im Fernsehen gesehen haben. Wenn ich Ihnen sagte, Sie sollten auf Ihren Schatten achten, wüssten Sie, worüber ich spreche, weil Sie es in Mannix oder Magnum gesehen haben.
Ich sah die beiden an und stellte die klassische Frage. »Stehe ich unter Verdacht?«
»Verdacht, was getan zu haben?«
»Irgendwas«, sagte ich. »Haben Sie mich in Verdacht, irgendein Verbrechen begangen zu haben?«
»Das ist eine ziemlich vage Frage, Doc.«
Und ich hatte eine ziemlich vage Antwort bekommen. Es gefiel mir nicht, wie das hier lief. Ich entschloss mich, einen anderen Satz zu benutzen, den ich aus dem Fernsehen kannte.
»Ich möchte meinen Anwalt anrufen«, sagte ich.
10
Ich habe keinen Strafverteidiger - wer hat das schon? -, also rief ich Shauna vom Münzfernsprecher im Korridor an und legte ihr die Situation dar. Sie verschwendete keine Zeit.
»Ich hab genau das, was du brauchst«, sagte Shauna. »Bleib einfach sitzen und sag kein Wort.«
Ich wartete im Vernehmungszimmer. Carlson und Stone waren so freundlich, mir dabei Gesellschaft zu leisten. Sie vertrieben sich die Zeit damit, sich gegenseitig etwas zuzuflüstern. Eine halbe Stunde verging.
Die Stille war zermürbend. Ich wusste, dass genau das ihre Absicht war. Trotzdem gelang es mir nicht, mich zurückzuhalten. Ich war schließlich unschuldig. Wie sollte ich mir da schaden, wenn ich halbwegs vorsichtig war?
»Meiner Frau hatte man ein K eingebrannt«, sagte ich.
Beide blickten auf. »Wie bitte?«, sagte Carlson und reckte seinen langen Hals in meine Richtung. »Reden Sie mit uns?«
»Meiner Frau hatte man ein K eingebrannt«, wiederholte ich. »Ich lag nach dem Überfall mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Sie glauben doch nicht ernsthaft …« Ich ließ den unvollendeten Satz im Raum stehen.
»Was glauben wir nicht?«, fragte Carlson.
Wennschon - dennschon. »Dass ich etwas mit dem Tod meiner Frau zu tun gehabt hätte.«
In diesem Moment sprang die Tür auf und eine Frau, die ich aus dem Fernsehen kannte, stapfte ins Zimmer. Als Carlson sie sah, zuckte er zurück. »Ach du heilige Scheiße!«, hörte ich Stone murmeln.
Hester Crimstein stellte sich nicht erst lange vor.
»Hatte mein Mandant nicht nach einem Rechtsbeistand verlangt?«, fragte sie.
Auf Shauna war Verlass. Ich war meiner Anwältin nie persönlich begegnet, kannte sie jedoch aus ihren Auftritten als Rechtsexpertin aus Talkshows und aus ihrer eigenen Sendung Crimstein
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