Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
Sie benehmen sich inzwischen nicht wie ein Trottel. Und zu niemandem ein Wort. Verstanden?«
»Ja.«
Sie lehnte sich zurück und überlegte noch ein bisschen. »Das gefällt mir nicht«, sagte sie. »Das gefällt mir überhaupt nicht.«
11
Am 12. Mai 1970 lösten Jeremiah Renway und drei radikale Mitstreiter im Chemischen Institut der Eastern State University eine Explosion aus. Gerüchten aus dem radikalen Weather Underground hatten besagt, dass Militärwissenschaftler die Labors der Universität benutzten, um eine verbesserte Form von Napalm herzustellen. Die vier Studenten, die sich in einem Anfall von Originalität Freedom’s Cry genannt hatten, entschlossen sich, ihrem Protest auf dramatische, wenn auch etwas protzige Art und Weise Ausdruck zu verleihen.
Zu dieser Zeit wusste Jeremiah Renway nicht, ob die Gerüchte der Wahrheit entsprachen. Inzwischen, mehr als 30 Jahre später, hatte er da so seine Zweifel. Aber das war auch egal. Die Explosion hatte kein Labor zerstört. Zwei Männern vom Sicherheitsdienst der Universität war das verdächtig aussehende Paket aufgefallen. Als einer von ihnen es aufhob, explodierte es und tötete die beiden Wachmänner.
Beide hatten Kinder.
Einer von Jeremiahs Freiheitskämpfern war zwei Tage nach der Explosion festgenommen worden. Er saß noch immer im Gefängnis. Der zweite war 1989 an Darmkrebs gestorben. Die dritte, Evelyn Cosmeer, war 1996 verhaftet worden. Sie saß derzeit eine siebenjährige Gefängnisstrafe ab.
Jeremiah war an jenem Abend in die Wälder verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Er sah kaum andere Menschen, hörte nicht Radio und sah nicht fern. Nur einmal hatte er ein Telefon benutzt - und das war ein Notfall gewesen. Seine einzige echte Verbindung zur Außenwelt waren die Zeitungen, die das, was hier vor acht Jahren geschehen war, allerdings vollkommen falsch wiedergegeben hatten.
Jeremiah war in Georgia in den Ausläufern der Appalachen aufgewachsen, wo sein Vater ihm alle möglichen Überlebenstechniken beigebracht hatte. Sein wichtigster Grundsatz war jedoch sehr einfach gewesen: Vertrau der Natur, aber nicht den Menschen. Jeremiah hatte das für eine Weile vergessen. Jetzt lebte er danach.
Da er fürchtete, dass sie in den Wäldern in der Nähe seiner Heimatstadt nach ihm suchen würden, war Jeremiah in die Wälder Pennsylvanias geflohen. Erst war er herumgezogen und hatte mindestens jede zweite Nacht das Lager gewechselt, bis er die vergleichsweise große Behaglichkeit und Sicherheit des Lake Charmaine entdeckt hatte. Am See gab es alte Hütten, in die man sich zurückziehen konnte, wenn es einem draußen zu unangenehm wurde. Es kamen fast nie Besucher, nur manchmal im Sommer, aber selbst dann nur fürs Wochenende. Er konnte hier jagen und das Fleisch relativ ungestört essen. An den wenigen Tagen im Jahr, an denen sich jemand am See aufhielt, versteckte er sich einfach oder er verzog sich etwas weiter nach Westen.
Oder er beobachtete die Besucher.
Für die Kinder, die früher hierher gekommen waren, war Jeremiah Renway der wilde Mann gewesen.
Jetzt verhielt Jeremiah sich ganz still und beobachtete die Beamten in ihren dunklen Windjacken. FBI-Windjacken. Der Anblick der drei gelb leuchtenden Großbuchstaben auf den Rückseiten der Jacken traf ihn wie ein Stich mit einem Eiszapfen ins Herz.
Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, das Gelände mit gelbem Flatterband abzusperren. Wahrscheinlich weil es so abgelegen war. Renway war nicht überrascht gewesen, als sie die Leichen entdeckt hatten. Ja, die beiden Männer waren tief vergraben gewesen, aber Renway wusste besser als die meisten anderen Menschen, dass die meisten Geheimnisse irgendwann doch wieder ans Tageslicht kommen. Seine frühere Komplizin Evelyn Cosmeer, die nach Ohio gezogen war und sich dort bis zu ihrer Verhaftung in ein perfektes Vorort-Mütterchen verwandelt hatte, konnte das bestätigen. Jeremiah blieb die Ironie keineswegs verborgen.
Er blieb im Unterholz versteckt. Mit Tarnung kannte er sich aus. Sie würden ihn nicht entdecken.
Er erinnerte sich noch an die Nacht vor acht Jahren, in der die beiden Männer gestorben waren - die plötzlichen Schüsse, das Geräusch der Spaten, als die Gräber ausgehoben wurden, das angestrengte Schnaufen und Stöhnen. Er hatte sogar lange darüber nachgedacht, ob er die Behörden darüber informieren sollte, was geschehen war - über alles, was geschehen war.
Anonym natürlich.
Am Ende jedoch war ihm das Risiko zu groß
Weitere Kostenlose Bücher